: Die Angst auf den Straßen von Abidjan
Zum Ablauf der regulären Amtszeit von Präsident Gbagbo in der Elfenbeinküste hat die Umsetzung des neuen UN-Friedensplans noch nicht einmal begonnen. In Abidjan zieht nun die Opposition auf die Straße – und fürchtet Massaker
AUS ABIDJAN HAKEEM JIMO
Wenn in der ivorischen Metropole Abidjan die Vergnügungsviertel samstagnachts leer sind, muss das einen besonderen Grund haben. Denn sonst wird in Abidjan keine Nacht verpasst, um in den „Maquis“ zu feiern, wie die Mischung aus Biergarten und Diskothek genannt wird. Drei der größten Maquis haben seit einer Woche gleich ganz den Barbetrieb unterbrochen. Im „Ministere de la Joie“, „Le Pouvoir“ und „Marcory Gasoil“ fahren keine Wannen mit Bier auf Eisblöcken mehr durch die Reihen. Angeblich wegen Renovierungsarbeiten. In Wirklichkeit wollen die Betreiber wohl Gewalt aus dem Weg gehen.
Nur der harte Kern der Abidjaner Nachtschwärmer traute sich in der Nacht zu gestern auf die Straße. Im einzigen offenen großen Maquis in der Vergnügungsmeile „Rue des Princesses“ im populären Viertel Yopougon blieben allerdings viele Plätze leer. Ab und an fuhr ein Panzerwagen der Polizei vorbei. Die sonst schon nervtötende Anzahl von Polizei- und Militärkontrollen hat sich nochmals erhöht. Es ist die Nacht zum 30. Oktober: Der Tag, an dem eigentlich Wahlen hätten stattfinden sollen; an dem nun stattdessen Präsident Laurent Gbagbo den letzten Tag als Staatschef mit vollen Machtbefugnissen erlebt und dann nach UN-Plänen die Macht an einen neutralen Premierminister übergeben soll; und an dem sich viele Ivorer einen Machtwechsel erhoffen, damit endlich ein echter Friedensprozess für die seit drei Jahren geteilte Elfenbeinküste in Gang kommt.
Auf der anderen Seite der Stadt, im Stadtviertel Treichville, hat die vereinigte Opposition nun für Sonntagmorgen zur Großdemonstration aufgerufen. „Für uns ist Laurent Gbagbo spätestens ab heute nicht mehr Präsident“, sagt ein 26-jähriger Demonstrant, der sich mit tausenden anderen unter ohrenbetäubendem Lärm im Sportstadion versammelt. „Vor fünf Jahren bin ich für Gbagbo auf die Straße gegangen. Nur durch den Druck der Straße kam er an die Macht. Aber jetzt muss er gehen. Denn sein Mandat ist zu Ende, und er blockiert den Frieden.“
Mindestens 5.000 Menschen sind bis zum frühen Nachmittag dem Protestaufruf gefolgt. Ein anschließender Marsch wird in Betracht gezogen. Das ist riskant: Im März 2004 starben 120 Menschen bei einer solchen Oppositionsdemonstration, als Sicherheitskräfte und Milizen gegen sie vorgingen. Diesmal erfolgt die Demonstration im Rahmen eines Musikkonzerts, denn politische Kundgebungen hat die UN-Friedensmission untersagt.
UN-Mitarbeiter waren am Wochenende angewiesen, zu Hause zu bleiben. Am morgigen Dienstag wollen die Gbagbo-treuen „Jungen Patrioten“ ebenfalls eine Kundgebung mit Konzert abhalten. Natürlich nicht als politische Demonstration, sondern um die Qualifikation der ivorischen Nationalmannschaft für die Fußballweltmeisterschaft zu feiern.
Das alles deutet auf weitere Konfrontation hin. Abidjan klirrt vor Waffen. Selbst in privaten Geländewagen fahren Uniformierte Patrouille durch die Stadt. Wer aus Abidjan heraus oder in die Stadt hinein will, muss dutzende von Kontrollen passieren.
Der von der UNO vorgesehene neue Premierminister existiert noch gar nicht. Die als Vermittler vorgesehenen Präsidenten von Nigeria und Südafrika brauchen noch einige Tage, bis sie überhaupt in Abidjan eintreffen.
Mitte der Woche soll nun der neue starke Mann der Elfenbeinküste bekannt gegeben werden. Viele Oppositionelle bezweifeln aber, dass sich Gbagbo an die neuen Spielregeln halten wird. Sie wollen, dass er ganz geht, und zwar sofort. „30. Oktober 2005 – Gbagbo raus!“ steht in Treichville auf ihren T-Shirts. Gbagbos neueste Fernsehansprache von vergangener Woche hat die Opposition nochmals in Aufruhr versetzt. „Ich fordere die Armee auf, das Land zu impfen, damit sich die Tollwut nicht ausbreitet“, sagte der Staatschef.
„Damit meint er, dass sie auf uns schießen sollen“, schreit eine Frau auf der Oppositionskundgebung. Viele trauen dem Präsidenten und seinen bewaffneten Anhängern systematische Tötungen zu.