: 8 Menschen sterben 2012 durch Polizeikugeln
GEWALT Die Getöteten hatten Polizisten angegriffen. Beamte griffen fast immer direkt zur Waffe
BERLIN taz | In aller Sonntagsherrgottsfrühe wirft am 26. Februar 2012 in der hessischen Stadt Maintal ein Mann Glasflaschen aus dem Fenster. Das verärgert – es ist kein großes Wunder – die Nachbarn. Sie rufen, wie so oft in solchen Fällen, die Polizei.
Da der Mann auf das Klingeln der gegen 5.45 Uhr eintreffenden Beamten nicht reagiert, aus der Wohnung aber sein Toben zu hören ist, wird die Tür aufgebrochen. Daraufhin wirft der Mann ein Messer auf die Polizisten und geht mit einem zweiten auf sie los. Sie machen „von der Schusswaffe Gebrauch“, wie es im Beamtendeutsch heißt. Die neun Schüsse überlebt der Mann nicht.
In Fällen wie diesen ermittelt automatisch die Staatsanwaltschaft. Sechs Wochen später wird das Verfahren eingestellt: Die „Vielzahl der Schüsse“ sei zwar eher ungewöhnlich, strafrechtlich hätten die Beamten jedoch „in Nothilfe“ gehandelt.
Der 57-Jährige aus Maintal war im vergangenen Jahr der erste Tote, der durch Polizeischüsse starb. Insgesamt sind 2012 nach Recherchen des Berliner Informationsdienstes Bürgerrechte & Polizei/Cilip acht Menschen auf diese Weise ums Leben gekommen; 2011 waren es sechs. Wie häufig Polizeibeamte im letzten Jahr überhaupt auf Menschen geschossen haben, lässt sich erst sagen, wenn die Statistik der Innenministerkonferenz vorliegt. Vor Mitte des Jahres ist damit allerdings nicht zu rechnen.
Was sich aber jetzt schon sagen lässt, ist, dass in allen der acht Fälle von polizeilichen Todesschüssen die Täter bewaffnet waren. Sie hatten die Beamten zuvor angegriffen oder massiv bedroht. In zwei Fällen wurden Polizisten dabei verletzt, einer schwer.
Damit scheint sich ein Trend fortzusetzen, den Cilip nun bereits im dritten Jahr beobachtet. Auf den ersten Blick scheint er dem regelmäßig vorgetragenen Klagelied der Gewerkschaft der Polizei (GdP) zu entsprechen: Die Gewalt gegen Polizeibeamte wachse bedrohlich an.
So etwa im Fall des 43-Jährigen, der am 4. Juli 2012 im baden-württembergischen Wiesloch erschossen wurde. Unvermittelt hatte der Mann am frühen Vormittag vor einem Café mit einem Stuhl auf eine Frau eingeschlagen. Als alarmierte Polizeibeamte ihn stellten, griff er sie mit Messern an. Als Ergebnis lag dann ein durch zwei „Rumpfschüsse“ getroffener Toter auf dem Marktplatz.
Oder der Fall von Elsfleth (Niedersachsen). Dort suchten am 1. August 2012 ein Arzt und ein Mitarbeiter des Landkreises in Begleitung von zwei Polizisten einen Mann auf. Es sollte festgestellt werden, ob der als psychisch krank geltende 51-Jährige in eine Klinik eingewiesen werden musste. Die Situation eskalierte und der Mann griff den Arzt und den Landkreismitarbeiter mit einem Hammer an. Drei Schüsse beendeten sein Leben.
Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Etwas aus dem Rahmen fallen lediglich zwei Fälle aus dem Dezember (Singen, Baden-Württemberg und Lindenfels, Hessen). Hier waren die getöteten Männer nur mit Schreckschusspistolen bewaffnet. Das allerdings ist auf Anhieb nicht unbedingt zu erkennen.
So tragisch die Fälle alle sind und so unangenehm auch für die beteiligten Beamten, gehören sie doch alle zum Alltag der Polizeiarbeit. Es sind zuerst einmal Routinesituationen. Allerdings ist nur in einem Fall bekannt geworden, dass die Polizei vor dem Schusswaffeneinsatz andere Mittel einsetzte, um aggressive Angreifer zu stoppen. In Berlin war am 6. Oktober 2012 ein 50-jähriger Mann am frühen Nachmittag mit zwei Messern und einer Axt fuchtelnd durch die Straßen gelaufen. Auch hier eskalierte die Lage mit dem Eintreffen der Polizei. Nachdem der Mann durch Schlagstock- und Pfefferspray-Einsatz nicht zu stoppen war, schossen die Beamten. Der 50-Jährige starb im Krankenhaus.
Experten werfen also die Frage auf, ob Polizisten noch richtig ausgebildet sind und/oder ob sie durch Arbeitsüberlastung infolge von Personalabbau in stressigen Routinesituationen schlicht überfordert sind. Insofern wäre der Forderung der GdP, dass etwas getan werden muss, also sicherlich Recht zu geben. OTTO DIEDERICHS