: Ein Mann liebt sein Baby
Hauruck Leverkusen bevorzugt auch in der Champions League das Spiel mit großen Risiken. Das garantiert ein Spektakel, aber auch Niederlagen wie die gegen den AS Rom
aus Rom Daniel Theweleit
Roger Schmidt trug auch nach dieser Achterbahnfahrt der Gefühle sein gewinnendes Lächeln im Gesicht. Die 2:3-Niederlage beim AS Rom schien das Gemüt des Leverkusener Fußballpädagogen ebenso wenig einzutrüben wie eine völlig misslungene erste Halbzeit. Nein, dieser Abend war ein guter, Schmidt hatte „ein unglaubliches Spiel“ erlebt, er bezeichnete die Darbietung seiner Mannschaft sogar als „fantastisch“. Dieser Mann liebt sein Baby. Und dieses Baby ist weniger die junge und nach wie vor ziemlich aufregende Mannschaft, als die Spielweise, die dem Publikum nach dem 4:4 im Hinspiel gegen die Römer und dem 4:3 gegen den VfB Stuttgart nun eine weitere Abenteuertour durch die Höhen und Tiefen der Fußballgefühle beschert hatte.
Es ist ja wirklich eine Menge los, wenn die Werkself in diesem Herbst Fußball spielt. Wildes Defensivchaos wie in der ersten Halbzeit von Rom verwandelt sich mitunter übergangslos in brillanten Pressingfußball wie nach der Pause. Viele Trainer würden angesichts solch einer unberechenbaren Spielweise wahnsinnig werden, Schmidt ist begeistert. Sogar die mittlerweile alles andere als vielversprechende Ausgangslage in der Champions-League-Gruppe stellte er dar, als handle es sich beim Weg ins Achtelfinale um einen entspannten Abendspaziergang. „Wir haben noch alle Chancen, wir müssen nur unsere Spiele gewinnen“, sagte er schlicht.
Allerdings ist eine Partie gegen den Titelverteidigern aus Barcelona darunter, und in Weißrussland bei Bate Borisov gewinnt man auch nicht einfach so. Die Daueroptimisten vom Rhein würden das nie so zugeben, aber in Wahrheit verläuft diese Saison bisher alles andere als wunschgemäß. Auf Platz sieben in der Bundesliga hinkt man den eigenen Erwartungen ebenso hinterher wie nun auch in der Königsklasse. „Wir hoffen jetzt auf ein Endspiel gegen Barca“, sagte Kevin Kampl, einer der wenigen konstant spielenden Profis bei Bayer. Das klang schon erheblich weniger zuversichtlich.
Ein solches Duell um den Einzug in die K.o.-Phase würde es am letzten Vorrundenspieltag geben, sofern die Spanier ihr Heimspiel gegen Rom gewinnen und Bayer in Borisov. Es passte zu dieser Hinrunde der Extreme, wenn es Leverkusen im Dezember gelänge, die Könige aus Katalonien zu stürzen. Sollten sie allerdings so spielen wie in der ersten Halbzeit von Rom, kann dieses Spiel auch zum Fiasko werden.
Der superriskante Pressingfußball dieser Mannschaft verzeiht kaum Fehler, und so etwas wie eine Umschaltoption in den abgesicherten Modus hat Schmidt anscheinend nicht eingebaut. „Bei unserer Spielweise gehört das Risiko dazu, wir wollen so hoch stehen“, sagte Jonathan Tah, auf die Frage, warum das Team sich in der ersten Halbzeit wieder und wieder derart ungeschickt hatte auskontern lassen. Bereits nach zwei Minuten lagen sie nach einem Tor von Mohamed Salah zurück, Edin Dzeko legte nach (29.), und es gab vier, fünf weitere schöne Gelegenheiten für die Italiener. „Wir waren gut bedient mit diesem Rückstand, die Römer haben uns ein bisschen im Spiel gelassen, die hätten auch höher führen können“, sagte Bayers Sportchef Rudi Völler.
Den Verdacht, dass Schmidt seine Mannschaft vielleicht ein wenig zu offensiv in dieses schwere Auswärtsspiel geschickt hatte, wies der Trainer energisch von sich. Es seien lediglich „Stellungsfehler“ passiert, und nach der Pause war dann ja auch plötzlich alles anders. Admir Mehmedi (46.) und Chicharito (51.) glichen innerhalb weniger Minuten aus, plötzlich war Bayer richtig stark. Doch nicht nur, weil Ömer Toprak in der Schlussphase noch eine Rote Karte sah und Mirolem Pjanic per Elfmeter das 3:2 schoss (79.), wirkt das Team insgesamt unfertiger als in der Rückrunde der Vorsaison. Das mag an Verletzungen (Lars Bender) und personellen Umbauten und Formschwächen (Bellarabi, Kießling) liegen. Leverkusen bietet die große Fußballshow – mit gewissen Abstrichen.
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