: „Fußball im Radio ist archaisch“
WDR-Kultreporter Manni Breuckmann sprach mit der taz über verloren gegangene Werte, verbotene Phrasen und zu wenig Zeit bei Fußballübertragungen im Radio
taz: Herr Breuckmann, was ist das Besondere an Fußballübertragungen im Radio?
Manni Breuckmann: Das Radio ist die letzte Bastion der Fußball-Reportage. Zwischendurch war es vom Fernsehen verdrängt, aber die Leute haben es wieder entdeckt. Gerade die so genannte „Schlusskonferenz“ ist kult. Radio ist archaisch und bringt die Emotionen so unmittelbar rüber, wie kein anderes Medium. Auch nach 80 Jahren.
Was hat sich in den Jahren geändert?
Wir haben weniger Zeit. Abgesehen von der Schlusskonferenz, wo sich alles verdichtet und man keinen Einfluss hat, sind die Live-Einblendungen am Samstagnachmittag auf 45 Sekunden beschränkt worden. Ich habe einen Zettel auf dem die 15 bis 20 Einblendungen pro Spiel minutiös fest gelegt sind. Um 15:38 Uhr der WDR, 15:40 der NDR und so weiter, die Reportage-Elemente kommen da natürlich zu kurz.
Entspricht das den Bedürfnissen der Hörer?
Das weiß ich nicht. Bei den neuen Radioideologen herrscht eine „Wahn zur Kürze“ vor. Unter der Woche übertragen wir zum Beispiel nur die letzten zwei Minuten eines Spiel. Es ist eine Horrorvorstellung für die Radiomacher, wenn plötzlich der Schiedsrichter eine Nachspielzeit von vier Minuten anzeigt. Dann stehen die kurz vor dem Suizid. Alles was unberechenbar und spontan ist, passt für diese Leute nicht. Wer das ganze Spiel hören möchte, den Fußball als Ganzes, der kann bei wichtigen Anlässen dann eben auf die Mittelwelle wechseln. WDR 2 sendet da nur noch kleine Happen.
Gibt es einen Punkt, an dem man denkt, das hat alles keinen Sinn mehr?
Den gab es noch nie. Es gibt ja auch immer wieder Highlights. Große Turniere zum Beispiel. Bei Welt- oder Europameisterschaften bekommen wir mehr Zeit. Für mich ist das eher beflügelnd als ermüdend. Dort kann ich mich in die Sprache hineinlegen.
Also haben Sie Ihre Entscheidung nie bereut?
Nein. Radio-Reporter haben mich schon immer fasziniert. Damals als Jugendlicher habe ich immer im Stimberg-Stadion von Erkenschwick in der Nähe der Reporter gestanden. Heribert Faßbender oder Jochen Hageleit standen auf dem Toilettendach, das mit Teerpappe ausgelegt war und zelebrierten ihre Reportagen. Da wollte ich auch hin. Im Jahr 1972 habe ich dann einen Nachwuchswettbewerb gewonnen und der legendäre Sportchef des WDR, Kurt Brumme (im Frühjahr verstorben) hat mich für das Radio verpflichtet.
Sie sind jetzt gut drei Jahrzehnte dabei. Hat sich in der Zeit der Wortschatz verändert?
Auf dem Platz gibt es nicht so viele Variationen. Außerdem muss man ein hohes Tempo vorgeben. Wiederholungen bleiben dabei nicht aus. Die Basis der Sportreportage ist natürlich halt nicht originell. Doch die guten Reporter und schlechten Reporter unterscheiden sich dadurch voneinander, dass die guten diese Basis des öfteren verlassen und originelle, witzige Sprachschöpfungen erfinden.
Gibt es Formulierungen, die Sie nach all den Jahren nicht mehr hören können?
„Ein Tor würde dem Spiel jetzt gut tun“ oder, „der ominöse Punkt“ – all die Stereotypen sollten eigentlich nicht zum Repertoire eines Sportreporters gehören.
Haben Sie sich persönlich schon mal in der Sprache vertan?
Es gab ein Spiel Fortuna Düsseldorf gegen Nürnberg. Der Spieler Detlef Szymanek, zuvor von Düsseldorf nach Nürnberg gewechselt, erzielte ein Tor und ich benutzte ausgerechnet die Formulierung „das war für ihn ein innerer Reichsparteitag“. In dem Moment als ich den Satz gesprochen hatte war mir klar, dass gibt Ärger. Und so war es auch.
Was wünschen Sie sich für die nächsten 80 Jahre Radiofußball?
Dass die Kommerzialisierung und der Trend zur Oberflächlichkeit nicht weiter zunimmt. Im Moment unterstützt der WDR uns noch dabei. Wir müssen zum Beispiel nicht die unsinnigen Namen der neuen gesponserten Arenen übernehmen. Statt „Schüco-Arena“ sagen wir immer noch „Bielefelder Alm“, oder statt „Signal-Iduna-Park“ heißt es immer noch „Westfalenstadion Dortmund“. Das mag zwar wertkonservativ klingen. Fußball im Radio lebt halt auch und vor allem von diesen alten Werten.
INTERVIEW: HOLGER PAULER