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Archiv-Artikel

Der Neue im BVG-Cockpit

Die BVG hat wieder einen Chef. Andreas Sturmowski wechselt von einem Hannoveraner Verkehrsunternehmen nach Berlin. Der Neue findet eine stärkere Videoüberwachung des Verkehrs gut und steht höheren Ticketkosten skeptisch gegenüber

VON ULRICH SCHULTE

Die Minute, in der Andreas Sturmowski klar geworden sein dürfte, worauf er sich da eingelassen hat, beginnt harmlos. Ein Fachjournalist schraubt sich zehn Sekunden lang durch eine seiner Fachjournalisten-Fragen. Es geht darum, ob Sturmowski als neuer BVG-Chef auch mit anderen, kleineren Verkehrsbetrieben gemeinsam Straßenbahnen bestellen würde. „Warum nicht“, antwortet der gebräunte Manager, der eine male sie rot, der andere gelb an, Synergien seien immer gut. Da hackt die Pressesprecherin dazwischen: „Moment mal. Die müssten sich natürlich unterordnen. Ob wir 100 Trams oder 107 kaufen, ist für uns kein großer Unterschied.“

Andreas Sturmowski, der heute sein Amt als Chef des größten deutschen Nahverkehrsunternehmens antritt, hatte seinen neuen Posten noch nicht verinnerlicht, als die BVG vergangene Woche zum Kennenlern-Abend einlud. Das wundert nicht: Sähe man die BVG als Doppeldecker-Bus, wäre der 51-jährige Sturmowski bisher Golf gefahren.

Der neue Vorstandsvorsitzende der BVG wechselt vom niedersächsischen Verkehrsdienstleister Intalliance AG in die Hauptstadt. Interalliance ist eine Tochter der Üstra Hannoversche Verkehrsbetriebe AG, der Regio AG der Deutschen Bahn und der Norddeutschen Landesbank. War er bisher für 2.200 Beschäftigte zuständig, sind es bei der BVG samt Töchtern 13.000.

Als Erstes will Sturmowski die Basis kennen lernen, in die Werkstätten und Betriebshöfe gehen, sagt er. Zu den seltsamen Ritualen der Berliner Beförderungsbehörde gehört, dass von Managern erwartet wird, den Busführerschein zu machen. Sturmowski wandelt dieses Ritual ab. Er will U-Bahn kutschieren, 60 Fahrstunden. Bei den Kollegen kam das prima an, heißt es.

Er sei kommunikativ und habe durchaus Charisma, um schnell Verbündete zu gewinnen, sagen Mitarbeiter aus Hannover dem Diplom-Kaufmann nach, der vor Intalliance bei der Deutschen Bahn für Stadtverkehr zuständig war.

Unter Sturmowskis Führung erwirtschaftete die Intalliance 2004 einen Gewinn von 420.000 Euro. Das freute die Aktionäre; die Arbeitnehmervertreter freuen sich eher über seinen Weggang: „Innen hat er umstrukturiert und gespart, beim Angebot nach außen war nichts von seinem Einfluss zu merken“, sagt ein Gewerkschafter. Bei der BVG ist mit dem neuen Tarifvertrag die wichtigste Entscheidung in Sachen Personal lange vor seinem Jobantritt gefallen.

Angesichts eines großen Überhangs und in der Masse unkündbarer Verträge wäre Fantasie nötig, um BVGler zu bewegen, andere Jobs auszuprobieren – zum Beispiel Tickets zu kontrollieren. Der Neuling tastet sich aber zunächst mit so vorsichtigen Aussagen ins verminte Feld des Berliner Nahverkehrs, als wisse er genau um die Betonfraktionen in der BVG.

„Es gibt den Bedarf, sich im Verwaltungsbereich zu fragen, ob wir da gut aufgestellt sind“ ist so ein Sturmowski-Satz, wenn es um eine der größten Baustellen geht. Denn nur 80 Prozent der BVGler produzieren Verkehr, etwa als Busfahrer. Der Rest – ein Fünftel – schiebt Aktenordner hin und her. Anders gesagt: Die BVG ist die Oberfinanzdirektion unter den Verkehrsunternehmen. Auch die Formulierung „Die Verschuldung ist keine schöne Situation“ besitzt zeitlose Eleganz, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die BVG mit 1,1 Milliarden Euro in der Kreide steht.

Die Frage, die die Stadt wohl am meisten bewegt, umschifft er, wie es der Chef eines verschuldeten Betriebs tun muss. Wird Bus- und Bahnfahren teurer? Natürlich wird es das, doch Sturmowski antwortet mehrere Minuten ohne etwas zu sagen.

Ein Fan der Milchmädchenrechnung sei er, und die geht so: Du kaufst einen Bus, das kostet, du steckst Betriebsstoffe wie Diesel und Öl rein, das kostet im Moment sehr viel, weshalb die BVG – anders als versprochen – auf die Tariferhöhung 2006 nicht verzichten will. Dem stehen Einnahmen vom Land und aus den Ticketverkäufen gegenüber.

Und hier, beim interessanten Punkt steigender Fahrkartenpreise, lässt er sich nur abringen: „Man muss aufpassen, dass man die Stammkunden nicht durch eine maximale Preisgestaltung verprellt.“ Bei den Besitzern von Jahresabonnements für Monatskarten hatte die BVG in den vergangenen Jahren besonders kräftig zugelangt. Auch wenn der neue Chef ohne Preiserhöhungen nicht auskommen wird, althergebrachte Mechanismen scheint er in Frage zu stellen.

Die Fans von Videoüberwachung finden in Sturmowski, der mit 16 Jahren in die CDU eintrat, einen leidenschaftlichen Verfechter ihrer Sache. Kameras sind gut, verhindern Vandalismus, schaffen subjektive Sicherheit, helfen beim Finden von Straftätern, sagt der Neue im Einklang mit seinen Vorgängern. Berlins Datenschützer haben sich bei dem Thema bisher als sympathisch wehrhaft erwiesen. Sturmowski will eine „vehement geführte Diskussion“ anzetteln.

Auf ständige Beobachtung, die irgendwann den BVG-Kunden droht, muss sich der Manager ab jetzt einstellen. Eine für ihn ungewohnte Rolle, denn in Hannover wirkte er als Person eher im Hintergrund. Dort herrschte in den Wochen vor seinem Weggang übrigens große Aufregung. „Er verlässt das Schiff vor einem drohenden Sturm“, sagt ein Gewerkschafter.

Die Üstra, mit 40 Prozent ein Haupteigner der Intalliance AG, überlegt, ihren Anteil aufzugeben. Im November werde ergebnisoffen über die Beteiligung beraten, so die bedrohliche Ankündigung des Aufsichtsratschefs. Einen guten Riecher scheint Sturmowski also zu haben.