Wandernde Flüchtlinge, schleswig-holsteinische Mädchen auf ihren Pferden und Festival-Heimkehrer und das alles nebeneinander – das ist jetzt so: Nicht steuerbare Nähe zu fremden Menschen
Fremd und befremdlich
KATRIN SEDDIG
Ich war im Harz. Die Sonne schien. Die Bäume glühten und am Abend stand ein riesiger, goldener Mond am Himmel. Unterwegs, während wir Bus fuhren, trafen wir auf Migranten, Serben vielleicht, Roma vielleicht. Sie stiegen in unseren Bus ein, erst ein paar, dann mehr und dann war der Bus voll und es war laut. Sie riefen von vorne denen von hinten was zu. Sie riefen von hinten denen von vorne was zu und ich war genervt.
Ich fahre nicht gerne Bus. Ich meide diese nicht steuerbare Nähe zu fremden Menschen, ich grenze mich ab. Ich weiß, dass ich das tue, dass ich eine Mauer um mich herum aufbaue, weil es mir sonst zu viel wird.
Und dann wusste ich aber auch, dass meine Gefühle falsch waren, dass die Menschen um mich herum zwar laut, aber gar nicht unfreundlich waren, dass sie lachten und sich freuten und dass es keinen Grund gab, sich aufzuregen. Und dass das so ein Punkt ist, mit Menschen im Allgemeinen und mit Fremden noch mehr.
Ich war im Westharz, dort steht ein bisschen die Zeit still, dort sind die Häuser alt, die Restaurants, die Einkaufsläden, in der Bank-Filiale gibt es Lederbänke und Holztäfelung und alles das entzückt mich. Leider verfallen viele von den alten Häusern. Sie stehen leer und dann bricht das Dach ein, es wird feucht und irgendwann muss das Haus abgerissen werden.
In dem Ort, in dem ich wohnte, bemühten sich die Geschäftsleute, die leeren Fenster zu dekorieren, aber das konnte über die Leere nicht hinwegtäuschen. Ein ganzer Teil der alten Häuser im Westharz verrottet. Vielleicht wollen die Eigentümer dort nicht wohnen, weil sie dort nicht arbeiten können, oder vielleicht finden sie keinen Käufer zu einem Preis, der ihnen angemessen erscheint.
Wie, fragte ich mich, kann es sein, dass an einer Stelle so viele Häuser verrotten, Häuser, in denen immerhin jemand wohnen könnte, während andere keinen Platz zum Schlafen haben? Wie merkwürdig ungleichmäßig ist alles verteilt? Wenige wohnen in Regionen, die sich leeren, obwohl sie wunderschön sind. Viele wohnen dann geballt in anderen, viel hässlicheren Regionen.
In den Hochhaussiedlungen, in den Vorstädten, wo der Wohnraum billiger ist als im Zentrum der Stadt, und wo sich dann die Armen sammeln, wo auch aus Kostengründen jetzt die meisten Kriegsflüchtlinge untergebracht werden, so scheint es mir, während in den reicheren Wohngegenden keine Villa leergemacht und kein Zelt aufgestellt wird.
Das ist ungerecht, wenn auch verständlich, aus einem bestimmten Blickwinkel. Man gibt dem Bettler halt nicht sein bestes Hemd, sondern das, was man nicht mehr braucht, oder was nicht so teuer war.
Am Wochenende dann war ich an der Ostsee, auf einem Festival, und auf der Rückfahrt nach Hause, in der Nähe einer Kaserne, die irgendwo zwischen den Feldern liegt, wanderten Mengen von Flüchtlingen herum. Ich weiß nicht, wo sie hinwollten, aber zwischen den schwarzen Feldern und dem überall aufsteigenden Nebel, mitten im Nichts, mussten sie wohl irgendwo hingehen, wenn sie raus wollten oder überhaupt irgendwas zu tun haben wollten.
Die Sonne stand tief, zwischen den wandernden Menschen ritten zwei schleswig-holsteinische Mädchen auf ihren Pferden, und da waren also die Flüchtlinge, die Mädchen auf den Pferden und wir in unserem Auto, die wir drei Tage getanzt hatten, das alles nebeneinander.
Das ist jetzt so, dachte ich, und das macht einem schon ein schlechtes Gewissen, das ist unausgeglichen und auch ungerecht, und vieles ist falsch, die verrottenden alten Häuser, die eigentlich schön sind, und in denen Menschen leben sollten, anstatt in Kasernen, und am Ende auch wir, die wir so weiterleben und uns vielleicht gestört fühlen, von Menschen, die ein bisschen anders sind als wir.
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
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