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„Reinheitsgebot ist ein Marketingbegriff“

vielfalt Klaus Wesseloh braut auf handwerkliche Weise Bier. Der Sommelier kann die gängigen Marken nicht unterscheiden – sie seien zu gleich geworden. Sein Erweckungserlebnis hatte er beim Pale Ale

Trotz des deutschen Reinheitsgebots: Die Herstellung der meisten Biere hat mit technikfern-romantischen Vorstellungen nichts zu tun Foto: Andreas Gebert/ dpa

Interview Klaus Irler

taz: Herr Wesseloh, in Ihrem Buch steht der schöne Satz: „Als ich mein erstes Pale Ale trank, habe ich das Licht gesehen.“ Wie sah es aus, das Licht?

Oliver Wesseloh: Fruchtig. Mein erstes Pale Ale war das Sierra Nevada Pale Ale. Das Trinkerlebnis war eine Rückbesinnung darauf, warum ich Brauer geworden bin. Während meiner Ausbildung wurde nur das klassische deutsche Brauwesen gelehrt: Pils respektive Export und Weizen. Da wurde vielleicht erwähnt, dass es in England so etwas gibt wie ein Stout, aber das war‘s dann. Als ich das Sierra Nevada Pale Ale getrunken habe, habe ich gemerkt, was man alles aus Bier machen kann und dass ich auch kreative Biere brauen möchte.

Was ist der Unterschied zwischen einem Pale Ale und einem Pils?

Pale Ale ist ein obergäriges Bier, während ein Pils untergärig gebraut wird. Salopp kann man sagen: Während sich in Kontinentaleuropa das Pils entwickelt hat, hat sich in England das Pale Ale entwickelt. In Deutschland ist das Altbier der Bierstil, der dem Pale Ale am Nächsten kommt.

Wie kommt es, dass es das Pale Ale nicht nach Deutschland geschafft hat?

Das Pale Ale hat es nach Deutschland geschafft, vor allem nach Hamburg. Als Hafenstadt hatte Hamburg den Austausch immer. Das Pale Ale ist nur wieder in Vergessenheit geraten. So wie auch viele deutsche Bierstile, die im Zuge der Vereinheitlichung in den 1970er- und 80er-Jahren von der Bildfläche verschwunden sind.

Was ist passiert?

Bis in die 70er waren alle Brauereien in Deutschland regional geprägt. Man konnte sehr deutlich die eine Biermarke von der anderen unterscheiden. Irgendwann ging es dann darum, eine möglichst große Bevölkerungsgruppe anzusprechen. Die Braumeister wurden entmachtet und das Marketing und das Controlling haben die Führung übernommen. Die Biere wurden sich immer ähnlicher und büßten stark an Geschmack und Charakter ein. Viele mittelständische Brauereien sind dem Trend gefolgt und haben ihre Biere auch schlanker und neutraler gebraut.

Sie sind nicht nur Brauingenieur, sondern auch Sommelier. Könnten Sie bei einer Blindverkostung Radeberger, Becks, Krombacher und Warsteiner unterscheiden?

Nein. Die sind zu gleich geworden.

Was macht ein Bier zu einem guten Bier?

Ein gutes Bier muss charakterstark sein. Es muss begeistern, vielleicht auch überraschen und einen positiven Eindruck hinterlassen.

Da sind die Geschmäcker sicher verschieden.

Das Gute ist natürlich immer eine sehr subjektive Geschichte. Wie bei jedem anderen Genussmittel gilt: Wenn ein Produkt einen geschmacksintensiven Charakter hat, kann es für Entzücken sorgen, aber genauso anecken und eben nicht schmecken. Aber das ist ja gerade das Spannende – es gibt weit über 150 Bierstile. Da ist garantiert für jeden etwas dabei.

Welche Rolle spielt Alkohol beim Bier? Kann es gute alkoholfreie Biere geben?

Alkohol ist ein Geschmacksträger, natürlich spielt er eine wesentliche Rolle. Aber man kann nicht pauschal sagen, dass es keine guten alkoholfreien Biere gäbe. Wesentlich ist die Frage, warum man das alkohol­freie Bier trinkt. Wenn ich es als Pils-Ersatz trinke, weil ich noch Autofahren muss, dann werde ich enttäuscht sein. Alkohol­freie Weizen-Biere sind meistens schon viel trinkbarer. Einen interessanten Aspekt könnte Hopfen in ein alkoholfreies Bier bringen. Vielleicht macht mal einer ein alkoholfreies Pale Ale. Das wäre interessant.

Was taugt das deutsche Reinheitsgebot?

Das ist erst mal ein Marketingbegriff. Er bezieht sich auf einen herzoglichen Erlass von 1516, über dem nie „Reinheitsgebot“ stand und der nie etwas mit Reinheit zu tun hatte. Es waren eher wirtschaftliche Interessen. Die Biersteuer wurde nur auf Gerste erhoben und der Erlass legte fest, dass zur Bierherstellung nur Gerste, Hopfen und Wasser verwendet werden durften. Weißbier durften nur ausgesuchte Häuser brauen, für die das Monopol eine lukrative Geldquelle war. Das, woran wir Brauer uns heute halten müssen, ist das vorläufige Biergesetz von 1993. In Bayern und Baden-Württemberg gilt noch das etwas strengere Reichsgesetzblatt von 1919.

Foto: Julia Wesseloh
Oliver Wesseloh

42, arbeitete in Amerika und begeisterte sich für die dortig Szene der Craft-Brauer. In Hamburg baute er ab 2012 die Kehrwieder Kreativbrauerei auf.

Was steht im vorläufigen Biergesetz von 1993?

Das Gesetz regelt unter anderem, welche Rohstoffe in Deutschland zur Bierbereitung verwendet werden dürfen, sagt aber nichts über deren Qualität. Und es sind viele Sachen erlaubt, die der Konsument nicht mit dem Thema Reinheit in Verbindung bringen würde.

Zum Beispiel?

Das fängt an mit der Wasseraufbereitung und endet bei der Fil­tration. Jede größere Brauerei zerlegt ihr Wasser in chemisch reines H2O und versetzt es dann mit Mineralstoffen. Bei den großen Brauereien wird meist Hopfenextrakt verwendet, also nicht mehr die natürlichen Dolden oder Pellets. Beim Hopfenex­trakt werden die Dolden gemahlen, dann werden mittels eines Lösungsmittels die Bitter- und Aromastoffe extrahiert, dann wird das Lösungsmittel wieder abgedampft. Schließlich werden viele Biere auch noch filtriert und stabilisiert. Dafür wird Kieselgur verwendet – ein Mehl aus versteinerten Kieselalgen, das nur einmal verwendet werden kann und danach gesondert vom restlichen Müll entsorgt werden muss. Häufig kommt dann auch noch PVPP zum Einsatz: ein Polymer, das trübungsbildende Gerbstoffe an sich bindet und wieder entfernt wird. Deshalb muss PVPP auf dem Etikett nicht deklariert werden.

Wie kommt man als Konsument ran an handwerklich gebraute Craft-Biere?

In den vergangenen zwei Jahren hat sich in der Hinsicht viel getan. Glücklicherweise entdecken inzwischen immer mehr Händler und Gastronomen, dass die Kunden Interesse haben an echter Biervielfalt. Neben den Spezialitätenläden und Online-Shops sind in Hamburg zum Beispiel viele Edeka-Märkte immer besser aufgestellt. Auch Inhaber geführte Getränke-Läden setzen sich zunehmend mit kreativen Bieren auseinander und präsentieren eine spannende Auswahl.

J. und O. Wesseloh: Bier leben. Rowohlt, 239 Seiten, 14,99 Euro

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