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Der konstruierte Nazi

THEATERGar nicht so leicht, mit dem Spielplan Farbe zu bekennen: Im Deutschen Theater feierte „Wintersonnenwende“, ein neues Stück von Roland Schimmelpfennig, Premiere. Regie hatte Jan Bosse

Bernd Stempel (l.) als Rudolph, der obskure Gast, dem die Reinheit der Kultur am Herzen liegt Foto: Arno Declair

von Katrin Bettina Müller

Blind auf dem rechten Auge, stumpf gegenüber dem Schicksal der Flüchtlinge, taub gegenüber latenter Fremdenfeindlichkeit – nein, das alles ist das Deutsche Theater nicht und will dies auch signalisieren. Im September wurde eine Notschlafstätte für acht Flüchtlinge eingerichtet, zusammen mit „Moabit hilft“ versorgt man sie mit Fahrkarten, kümmert sich um Wäsche, Verpflegung, Deutschunterricht. Eine praktische Hilfe, für die jetzt auch, die Schauspieler sagen es nach der Premiere an, Spendenboxen aufgestellt sind.

Auch im Spielplan will man Farbe bekennen; aber das gut zu machen, haut nicht immer so leicht hin. Roland Schimmelpfennigs Stück „Wintersonnenwende“, von Jan Bosse in Szene gesetzt, erzeugt vor allem Ratlosigkeit. Der Text um ein misslungenes Weihnachtsfest bei dem linksbürgerlichen Schriftsteller Albert zielt offensichtlich auf eine Unterwanderung und Anfälligkeit von intellektuellen und kulturellen Werten für rechte Diskurse. Albert, versiert in Antifaschismus und Geschichte des deutschen Nationalsozialismus, trifft auf Rudolph, einen obskuren Gast aus Paraguay, der Weihnachten zum Wintersonnenwendefest umstilisieren will.

Erst ist nur von großen Künstlern, von Schönheit und Bewunderung, von Werten der Gemeinschaft die Rede. Während Alberts Schwiegermutter Corinna, eine einsame Witwe, und Alberts Freund Konrad, ein erfolgloser und an sich selbst zweifelnder Maler, Rudolphs Gesülze zunehmend auf den Leim geht, sieht Albert rot und wittert den Nachfahren von exilierten Altnazis. Aber statt sich argumentativ zu wehren, kriegt er Kopfschmerzen, verzieht sich ins Bad, schluckt Tabletten. Und am Ende weiß man nicht, ob die nun deutlich rechtsradikalen Ausfälle des Gastes noch real oder seine Halluzination sind.

Womit man als Zuschauer zunächst gefüttert wird, ist die Süffisanz, mit der der Regisseur Jan Bosse das Milieu leicht selbstgefälliger, etwas wehleidiger und ständig gestresster Intellektueller in Szene setzt. Schimmelpfennigs Text, der aus den Dialogen, Kommentaren und Gedanken der Personen und Beschreibung der Einrichtung in der hohen Altbauwohnung besteht, bietet eine gute Spielvorlage für eine ständige ironische Brechung. Die Schauspieler sind allesamt gut darin, das Lächerliche ihrer Charaktere zur Schau zu stellen: Felix Goeser als Albert, peinlich berührt von jedem Satz seines Gastes, wieselt hyperaktiv durch die Wohnung auf der ständigen Suche nach Rotwein und Tabletten; während Bernd Stempel Rudolphs Pathos und Emphase, mit der er von der Reinheit der Kultur und dem Kampf gegen Vermischung und Verunreinigung redet, durch unterkühlte Sachlichkeit und elegant gezähmte Verklemmtheit bricht.

Verdächtige Ideologie

Aber dennoch macht dies nicht satt. Slapstick mit dem Weihnachtsbaum, der gleich mehrfach zerlegt wird, auch nicht. Die Geschichte ist einfach zu dünn. Und warum musste Rudolph, den die Schwiegermutter Corinna auf einer Zugfahrt kennengelernt und spontan eingeladen hat, so exotisch konstruiert sein? Ein Unbekannter aus Paraguay, von dessen Hintergrund man nichts zu fassen kriegt; dabei scheint es doch, als ginge es in dem Stück eigentlich darum, dass die verdächtigen Ideologiefetzen ja schon verwoben sind mit einem Gedankenuniversum, das sich dagegen gefeit glaubte. Aber das bleibt sehr diffus.

Roland Schimmelpfennig ist nicht nur einer der meistgespielten deutschen Dramatiker, sondern auch einer, der sehr genau in die Sprache hineinhorcht, mit ihren Untertönen zu spielen weiß und das Erfinden und Vorstellen einer Welt aus Sprache oft mitthematisiert. Es ist weniger das Reale, an dem er sich abarbeitet, als vielmehr der Anteil der Imagination an der Herstellung dessen, was für real gehalten wird, und dabei spielt auch die ideologische Kontamination von Begriffen eine große Rolle. Darin gleicht seine Figur Albert ihm übrigens. Aber dennoch ist gerade von dieser Qualität in seinem Stück „Wintersonnenwende“ viel zu wenig zu spüren. Es ist von Anfang an viel zu vorhersehbar.

Im Deutschen Theater wieder am 27. 10., 8./12. + 27. 11.

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