Berliner Szenen: Affäre, Balkon
Chemie hilft
Meine Mutter hat es immer gewusst: „Kind!“, hat sie gesagt, „Warte, bis du dreißig bist, dann interessierst du dich auch für Blumen.“ Sie hat recht behalten. Ich mein, sie ist meine Mutter. Mütter haben immer recht.
Seit fünf Jahren habe ich eine Affäre mit meinem Balkon. Jedes Jahr im September explodiert er in einer Blütenpracht – fast unanständig. Groß und schwer hängen die Köpfe der Sonnenblumen. Sogar der Hibiskus lässt sich dazu herab, fünf feuerrote Blüten zu entfalten.
Meine Mutter hat jahrelang erfolglos versucht, einen Hibiskus großzuziehen. Mit Liebe und Gießen und Gut-Zureden.
Und dann fuhren wir in den Urlaub nach Griechenland. Da wuchs der Hibiskus büscheweise. Auf der Autobahn. Auf dem Mittelstreifen. „Hier!“, rief meine Mutter, als wir wieder zu Hause waren, und wedelte mit den Urlaubsfotos vor dem Blumentopf rum. „Guck dir das an!“, rief sie, „sooo sollst du wachsen, du undankbare Kreatur!“
„Blüht er jetzt eigentlich?“, frage ich neulich am Telefon. – „Wer?“, fragt Mutter. – „Na, dein Hibiskus“ – „Ja!“, sagt Mutter, „Wie bescheuert. Und weißte wieso? Düngen musste. Ditt is ditt Einzje, watt hilft. Von wegen Liebe, Wasser ,Sonnenlicht. Chemie muss rauf! Oder Hormone.“
„Hormone?“ – „Ja!“, sagt Mutter, „Tante Erna hat doch früher immer ihre Anti-Baby-Pillen in die Blumentöpfe gesteckt.“ Pause. „Du Mama?“ – „Ja, mein Kind?“ – „Du Mama, weißt du, gerade war es so, als ob ich gedacht hätte, du hättest gesagt, dass Tante Erna früher immer ihre Anti-Baby-Pillen in die Blumentöpfe gesteckt hätte.“ – „Ja!“, sagt meine Mutter, „Wir hatten doch nüscht im Osten. Nich ma Blumendünger. Ich hab das damals auch probiert, hat aber nicht geholfen.“ Hm. „Du, Mama?“ – „Ja, mein Kind?“ – „Willst du mir jetzt damit sagen, dass meine Cousins und ich nur zufällige Ableger eurer Blumenliebe sind?“ Lea Streisand
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