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Archiv-Artikel

Andrea Nahles wagt und siegt

Wäre der SPD-Parteichef bloß dem Rat Heiner Geißlers gefolgt! „Wenn Müntefering mutig ist, wenn er nicht Friede, Freude, Eierkuchen will, wenn er die SPD intellektuell gegen Lafontaine und Gysi aufstellen möchte – dann sollte er sich für Andrea Nahles entscheiden“, hat der frühere CDU-Generalsekretär gestern im taz-Interview empfohlen. Doch Müntefering wollte nicht. Er wünschte sich einen persönlichen Statthalter im Willy-Brandt-Haus ohne eigenes politisches Profil. Gestern nun hat der SPD-Parteivorstand sensationell beschlossen, ihn zu seinem Glück zu zwingen: Nicht sein treuer Adlatus Kajo Wasserhövel, sondern die Parteilinke Nahles soll neue Generalsekretärin der SPD werden. Sie hat den Machtkampf gewagt und gewonnen.

Mit ihrer erfolgreichen Palastrevolte hat die 35-Jährige die SPD in heftige innerparteiliche Turbulenzen versetzt, wie es sie seit jenem legendären Mannheimer Parteitag vom November 1995 nicht mehr gegeben hat. Seinerzeit putschte Oskar Lafontaine den glücklosen Rudolf Scharping vom Vorsitz weg. Nun ist Nahles spektakulär in die Fußstapfen ihres einstigen großen Vorbilds getreten: Sie und ihre Anhänger haben es – beabsichtigt oder nicht – geschafft, den Vorsitzenden abzuschießen.

Was man können muss, um in der Politik erfolgreich zu sein, soll Nahles einmal Egon Bahr gefragt haben. „Kannst du dienen?“, habe seine Gegenfrage gelautet. „Ja – aber es fällt mir schwer“, so ihre Antwort. Worauf der SPD-Grandseigneur erwiderte: „Dass du es kannst und dass es dir schwer fällt, ist die ideale Voraussetzung.“ Ihre politische Karriere begann für die 1970 im verschlafenen rheinland-pfälzischen Mendig geborene Nahles Anfang der 90er-Jahre innerhalb der Parteijugend. 1988 in die SPD eingetreten, wurde sie 1993 Landesvorsitzende der Jungsozialisten in Rheinland-Pfalz und zwei Jahre später Juso-Bundesvorsitzende. Vier Jahre blieb sie auf diesem Posten und schaffte es in dieser Zeit, den bis dahin intern völlig zerstrittenen Verband wieder kampagnenfähig zu machen. Seitdem gilt sie als großes politisches Talent.

1998 zog Nahles in den Bundestag ein, verpasste jedoch 2002 um 800 Stimmen den Wiedereinzug. Es war ein Abschied vom Parlament mit Tränen, aber keiner aus der Politik. Eifrig arbeitete die Mitbegründerin und Vorsitzende des „Forums Demokratische Linke 21“ weiter an ihrer Parteikarriere, zog 2003 ins Parteipräsidium ein und profilierte sich als Leiterin der Projektgruppe Bürgerversicherung beim SPD-Parteivorstand.

Finanziell hielt sich die Literaturwissenschaftlerin nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag zunächst mit einem Job bei der IG Metall über Wasser, dann mit einem Stipendium. 2004 begann sie ihre Promotion am Germanistischen Seminar der Universität Bonn. Das Thema ihrer Dissertation, die sie nun erst mal auf Eis wird legen müssen: „Funktionsweisen identifikatorischer Lektüre am Beispiel des historischen Romans“. Nahles schaffte über die rheinland-pfälzische Landesliste der SPD die Rückkehr in den Bundestag. Seitdem wurde die sozialdemokratische Nachwuchshoffnung, die die rebellische Attitüde liebt, für alle möglichen Posten in der SPD ins Gespräch gebracht. Den attraktivsten dürfte sie nun bekommen. Mit ihr könnte eine politische Generalsekretärin ins Willy-Brandt-Haus einziehen – und eine kämpferische zudem. PASCAL BEUCKER