„Entdecken, was man nicht erwartet hat“

COMIC Die beiden Zeichner Flix und Mawil leben in Berlin und erfinden neue Berliner, wie etwa einen Hasen mit Brille. Ein Gespräch über Spontaneität, lange und kurze Bildstrecken, Sonntagscomics und das eigene Milieu

Mawil und Hase am Schreibtisch Foto: Abb: Mawil/Reprodukt

von Ralph Trommer

Seit 2006 gibt es in der Sonntagsbeilage der Zeitung Der Tagesspiegel eine Comicseite, die von vier sich abwechselnden Zeichnern gestaltet wird. Von zweien dieser Künstler sind nun umfangreiche Sammelbände ihrer Sonntagscomics im Plattencoverformat erschienen. Der 1976 in Münster geborene, heute in Berlin lebende Zeichner Flix (bürgerlich Felix Görmann, bekannt u. a. durch seine Klassiker-Neuinterpretationen „Faust“ und „Don Quixote“) wirft in seiner bereits 2012 mit dem Max-und-Moritz-Preis als „Bester Comic-Strip“ ausgezeichneten Reihe „Schöne Töchter“ einen pointierten Blick auf Beziehungsdramen aller Art und offenbart darin seinen grafischen Experimentierwillen.

Der gleichaltrige, in Ostberlin geborene Zeichner Mawil (bürgerlich Markus Witzel) wurde für seine im letzten Jahr erschienene Graphic Novel „Kinderland“ in Erlangen mit dem Hauptpreis als bester deutschsprachiger Comic geehrt. „The Singles Collection“ nennt Mawil die Auswahl seiner kurzen Comics, die meist dem Alltag des Zeichners entsprungen sind und die tragikomischen Erlebnisse eines jungen Berliner Singles und Bohemiens verdichten.

taz: Wie kam es zu Eurer Mitarbeit an der Sonntagscomic-Reihe im Berliner Tagesspiegel?

Mawil: Die Redaktion wollte 2006 etwas Neues machen, als Comics gerade an Anerkennung gewannen. Tim Dinter, Arne Bellstorf und ich bekamen, weil wir durch erste Bücher aufgefallen waren, den Zuschlag. Mich hat es gefreut, weil ich damit meinen Eltern zeigen konnte, dass es doch was Vernünftiges ist, was ich da mache.

Flix:Ich kam erst 2010 dazu, nachdem die Zeichnerin Anike Hage ausgestiegen war. Letztlich musste man auch mit dem Format klarkommen, also auf einer Seite eine abgeschlossene Geschichte erzählen – und es sollte mit Berlin zu tun haben.

Welche Bedeutung haben Zeitungsstrips für euch?

Mawil: Wir sind beide große Fans des US-Zeichners Bill Watterson. Zu Ostzeiten gab es kaum Zeitungscomics, kurz nach der Wende druckte aber die Berliner Zeitung US-Strips ab. Als Schüler schnitt ich damals „Calvin und Hobbes“ aus und klebte sie in ein Heft.

Flix: Wegen „Calvin und ­Hobbes“ habe ich begonnen, auf Englisch zu lesen, weil es die Serie zunächst nur als US-Import gab. Das war die Initialzündung für mich, Comics zu zeichnen. Allerdings war es mit viel Frustration verbunden, denn einen besseren Strip als „Calvin und Hobbes“ kann es kaum geben. Als Zeichner begreife ich die Zeitung als Einstiegsmedium, es ist meine Aufgabe, Comics zu machen, die im besten Sinne verständlich sind.

Müssen Zeitungscomics komisch sein?

Mawil: Ich glaube, wir sind beide eher so Typen, die das Leben mithilfe von Komik leichter ertragen können. Ich finde mich aber auch nicht so lustig wie zum Beispiel Fil [“Didi und Stulle“], bei mir ist es eher eine Mischung aus Melancholie und kleinen Gags.

Flix:Bei einem kurzen Comic liegt nahe, dass am Ende eine Wendung ins Komische steht. Wenn ich den Leser aber zum Nachdenken anregen oder anrühren will, brauche ich eigentlich eine größere Bilderstrecke. Ich versuche trotzdem eine Bandbreite an Gefühlen auszulösen. Ich freue mich, wenn Leute mir sagen: „Da hab ich aber schlucken müssen.“ Auch eine geringe Anzahl von Bildern kann ausreichen, um so eine Reaktion auszulösen.

Mawil:Um Tiefe zu erreichen, muss man die Figuren gründlich einführen, zeigen, was ist das für’n Typ, wie geht er durch den Alltag, und dann kannst du auch mal einen „bösen“ Gag bringen.

Flix: Die meisten Dinge, die ich komisch finde, sind zugleich hochtragisch oder haben zumindest einen Anteil an Tragik mit drin. Wenn der nicht da ist, dann hast du keine Fallhöhe. Schenkelklopfen allein reicht nicht aus.

„Die meisten Dinge, die ich komisch finde, sind zugleich hochtragisch. Schenkelklopfen allein reicht nicht aus“

Flix

Der Titel „Schöne Töchter“ basiert auf einem bekannten Spruch …

Flix: Ja, „andere Mütter haben auch schöne Töchter“. Wenn man eine Stripreihe ohne feste Hauptfigur hat, ist es wichtig, ein klares Thema zu setzen. Mir wurde bewusst, dass mit dem Thema „Beziehungen“ jeder etwas anfangen kann. Dazu, dachte ich, fällt mir auf jeden Fall immer wieder was ein.

Sind eure Comics autobiografisch?

Mawil:Wenn ich „The Singles Collection“ durchblättere, blicke ich auf neun Jahre zurück, die hier drinstecken, ich erkenne Lebensphasen von mir. Wo der Mawil-Charakter dabei ist [Anm.: Mawils gezeichnetes Alter Ego], sind die Geschichten weitgehend autobiografisch, handeln von Wohnungssuche oder meinem gestohlenen Fahrrad. Meine andere Hauptfigur, der Hase mit Brille, agiert eher als Schauspieler in ausgedachten Geschichten – allerdings verhält er sich ebenso ähnlich wie ich. Mir fällt es schwer, mich in Leute hineinzuversetzen, die völlig anders sind als ich.

Flix:„Schöne Töchter“ ist – im Gegensatz zu früheren, semiautobiografischen Strips wie „Held“ – für mich ganz bewusst der Versuch, fiktional zu arbeiten. Es sind oft Themen, die mich gerade beschäftigen. Ein Stück weit entspricht das Milieu, in dem sich die Figuren bewegen, auch dem Milieu, in dem ich lebe, trotzdem sind die Comics nicht autobiografisch.

Der Zeitungscomic ist für euch auch die Gelegenheit, mit der Form zu spielen.

Flix:Ich hab es auch als Herausforderung verstanden, wie weit ich gehen könnte. Konnte ich riskieren, eine nackte Frau so groß darzustellen, dass sie die ganze Seite dominierte? Nur, wenn es inhaltlich motiviert war. Oder: Es gibt oft verschiedene Möglichkeiten im Leben – wie kann ich das grafisch darstellen? Indem auch der Leser die Seite in verschiedene Richtungen lesen kann.

Mawil:Ich bin da weniger strukturiert. Um mich selbst beim Zeichnen zu unterhalten, probiere ich gerne was Neues aus, baue zum Beispiel eine fotografierte Playmobil-Figur in einen Westerncomic ein oder arbeite mit ausgeschnittenem Papier.

Flix:Ich mag dieses Skizzenhafte, Spontane in deinen Comics. Das trau ich mir so gar nicht zu. Ich halte mich mehr an meinem Plan fest.

Mawil: Ja, in meinen Comics erkennt man oft noch die Rohfassung, weil ich den Schwung der ersten Linie liebe. Es sind vielleicht noch kleine Fehler drin, aber dafür ist der Gesamteindruck lebendiger. Manchmal ist auch noch der Knick des Papiers zu sehen.

Ein Hund dominiert. Aus „Schöne Töchter“ von Flix Foto: Abb: Flix/Carlsen Verlag

Wagt eine Prognose: Hat der Zeitungscomic Zukunft?

Mawil: Der Zeitungsstrip funktioniert so lange, wie das Medium funktioniert, also Zeitungen gekauft werden. Vielleicht wird sich alles Richtung Onlineangebote verändern, was auch neue Chancen eröffnen kann. Zeichner wie Joscha Sauer sind zum Beispiel durch Internetcartoons bekannt geworden.

Flix: Es gibt immer Wellenbewegungen. In letzter Zeit gab es ein Comic-Hoch, ganz viele Zeitungen hatten eigene Comics. Aber wenn die Verkaufszahlen nicht stimmen, werden gerne Comics als Erstes eingespart, wie der tägliche Comic der FAZ, denn für neue Chefredakteure ist es am einfachsten, das Visuelle zu verändern, als etwa einen neuen Schreibstil durchzusetzen.

Ihr zeichnet beide auch lange Comicgeschichten und Graphic Novels. Wo liegen eure Prioritäten – in der kurzen oder der langen Form?

Mawil: Das Kurze macht viel Spaß und bringt Routine. Bei der längeren Form kann man hingegen richtig in die Geschichte eintauchen.

Flix: Es gibt etwas, was man bei den kurzen Geschichten nicht machen kann. Umblättern! Man sieht sofort alles, somit fehlt auch der Moment der Überraschung. Ein Vorteil von langen Geschichten: auf der nächsten Seite etwas entdecken, was man nicht erwartet hat. Das ist ein toller Moment.

Flix: „Schöne Töchter“. Carlsen Verlag, 128 S., Hardcover, 24,99 Euro

Mawil: „The Singles Collection“. Reprodukt Verlag, 136 S., Hardcover, 29 Euro