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Perfektes Hybrid

Kolonial-Folklore In „Them and us“ vermischen der Choreograf Jochen Roller und die Performancekünstlerin Yuki Kihara deutsche und samoanische Volkstänze

von Katrin Ullmann

So häufig wie andernorts nach Visitenkarten wurde Jochen Roller während einer Südseereise gefragt, welche Tänze es in seiner Heimat gibt. Aber so richtig darauf antworten konnte er nicht. Der Tänzer und Choreograf beschloss, sich näher mit dem deutschen Tanzbrauchtum zu beschäftigen. Auf die Fernreise folgte eine Forschungsreise, eine durch die eigene, unbekannte Heimat, die ihn in die hintersten Winkel der Republik führte. „Ich fand, es sei an der Zeit, mit Tanz und Tracht künstlerisch zu experimentieren,“ kommentierte Roller damals sein Vorhaben. 2013 entstand daraus die Arbeit „Trachtenbummler“.

Als Berliner fern von Volkstümlichkeit und deutschen Volkstanzritualen lebend, reiste Roller auf der Suche nach Traditionen bis nach Oberbayern und entdeckte dort den Schuhplattler für sich. Ein Volkstanz, der, wie er feststellte, dem samoanischen Fa’ataupati unheimlich ähnlich ist. Wieso können deutsche Volkstänze genauso exotisch und fremd erscheinen wie Stammestänze aus Samoa, fragte er sich. Und ob die Definition des Fremden nicht eigentlich sowieso eine Fiktion sei. „Wo doch die eigene Volkskultur einem schon so fremd ist“, sagt Roller. Und entschied sich für ein weiteres Projekt in diesem Forschungsrahmen.

Gemeinsam mit der samoanischen Performancekünstlerin Yuki Kihara erarbeitete er daraufhin die Performance „Them and Us – ein folkoloniales Spektakel“, die ab Mittwoch auf Kampnagel zu sehen ist. Darin fügen die Künstler beide Tänze zusammen: den Schuhplattler und den samoanischen Fa’ataupati. „Ein perfektes Hybrid“, meint Roller. Einen Abend lang tanzen Lafaele Fagasa, Malili Tautala, Paul Tuisaula – Mitglieder der samoanischen Tatau Dance Group – Traditionstänze zu ausgewählten Popsongs – von Deichkind bis Stromae. Und suchen darin nach Verbindungen zwischen Deutschland und ihrer fernen Heimat, hinterfragen auf diese Weise zugleich die anthropologische Sicht der Deutschen auf die ehemalige Kolonie Deutsch-Samoa.

Konterkariert werden die einzelnen Tanzeinlagen von sieben Videoepisoden, für die Roller und Kihara Orte und Menschen aufgesucht haben, bei denen sich die samoanische und die deutsche Kultur berühren. Eine Episode etwa spielt in einem ethnografischen Museum, eine andere in der Freizeithölle Tropical Island nahe Berlin, eine weitere porträtiert einen in Hamburg lebenden, selbsternannten Konsul Samoas.

„Das sind alles Orte und Begegnungen“, fasst Roller zusammen, „an denen mit Abziehbildern der Südsee gearbeitet wird“. Die Idee sei, in diesen Videos „den ganzen kolonialen Mist zu behandeln, zu gucken, wo ist der jetzt, 2015?“ Und das Ergebnis wiederum mit dem Tanz zu kontrastieren.

Hintergrund des Projekts ist also die deutsche Kolonialherrschaft des westlichen Teils der Samoa-Inseln von 1900 bis 1914. Vor hundert Jahren wurden Samoaner – die als gute, weil ja christliche Fremde galten – dabei auch spektakulär in deutschen Zoos ausgestellt. Erschreckend dünn aber sei bis heute die kritische Auseinandersetzung mit der Kolonialvergangenheit, die letztlich die Rassenhygiene der Folgejahre vorbereitet hat, sagt Roller.

Auch die postkoloniale Performance schafft es nur bedingt, Exotismen zu überwinden

Immer noch existiere eine „Infantisierung dieser Kultur, eine Sexualisierung des Körpers des vermeintlich Wilden“, berichtet Roller aus seinen Erfahrungen während der Vorbereitung – und auch während der vergangenen Aufführungen von „Them and Us“ in Berlin, Düsseldorf, in Basel und Freiburg.

Erschreckend sei es, fährt er fort, „dass es immer noch Menschen gibt, für die die Missionierung ein Geschenk an die wilden Völker war“. Ebenso erschreckend sei es, dass man es in einer postkolonialen Arbeit wie der seinen nur bedingt schaffe, diese Exotismen zu überwinden. „Egal, wie scharf man an der Schraube dreht, man wird die Begeisterung des Publikums für Exotik nicht los“, weiß Roller nun.

Hätte er aber ein solches Stück mit deutschen Tänzern über deutsche Volkstänze gemacht – „es hätte überhaupt niemanden interessiert“.

Premiere: Mi, 14.10., 20 Uhr, Kampnagel. Weitere Aufführungen: 16.10., 21 Uhr und 17.10., 20 Uhr

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