LeserInnenbriefe
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Neue Bündnispartner

betr.: „Göttin mit zwei Armen“, taz vom 6. 10. 15

Entgegen den Vorstellungen Ulrich Schultes hat Merkel zurzeit immer noch sehr viele Verbündete.

Einerseits kann sie sich auf alle Linkspopulisten verlassen, die sich beharrlich weigern, eine Obergrenze für Zuwanderung zu definieren, und den Eindruck erwecken, als gäbe es in Deutschland ein nahezu unendliches Integrationspotenzial. Zu den Bündnispartnern kann man natürlich auch Vertreter(innen) der neoliberalen Ökonomie zählen, die sich von der Zuwanderung einen Druck auf die Löhne versprechen. Kein Wunder also, dass aus diesen Kreisen auch schon Ausnahmen vom Mindestlohn für Flüchtlinge gefordert werden und eine Aufweichung anderer Arbeitnehmerrechte.

Spätestens dann, wenn große Teile der Migranten keinen Arbeitsplatz finden und der Unmut über gemachte Versprechen („Wir schaffen das!“) weiter wächst, wird die Politik den Forderungen nach dem Abbau von Arbeitnehmerrechten nachgeben. Nach den Vorstellungen der neoliberalen Ökonomen erhofft man sich dann davon Wachstumsimpulse mit gesunkenen Lohnstückkosten und einer noch aktiveren Leistungsbilanz.

Interessante neue Bündnispartner also: dogmatische Linke und neoliberale Ökonomen.

CLAUS KREUSCH, Düsseldorf

Es könnte auch so kommen

betr.: „Göttin mit zwei Armen“, taz vom 6. 10. 15

Der Autor schreibt, Angela Merkel hätte zwei wichtige Verbündete für ihre Flüchtlingspolitik: das Grundrecht auf Asyl im Art. 16a GG und sie selbst. Ein Irrtum!

Zu den Fakten: Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge sind nach deutschem Recht nicht „politisch verfolgt“ und haben in überwiegender Zahl bei uns kein Aufenthaltsrecht nach Art. 16a, sondern nach den Bestimmungen über „Subsidiären Schutz“ im Abschnitt 2 des Asylverfahrensgesetzes oder auch nach §§ 22 bis 26 des Aufenthaltsgesetzes für Ausländer. Grundlage hierfür ist nicht das Grundgesetz, sondern sind die Vereinbarungen innerhalb der EU.

Der zweite Verbündete von Angela Merkel: ihre Alternativlosigkeit in der CDU? Hm! Da habe ich meine Zweifel. Es könnte auch so kommen: Der Zustrom an Flüchtlingen hält an. Eine Verteilung der Flüchtlinge auf alle EU-Länder erweist sich als nicht durchführbar. Unzumutbare Wohnbedingungen in den Aufnahmelagern und überforderte Helfer prägen die Lage. Es kommt zu Gewalttaten unter den Flüchtlingen, zu Protesten und Hungersteiks von Flüchtlingen, die auf ihre unhaltbare Lage aufmerksam machen wollen.

Die Zustimmung für Merkel in der Bevölkerung sinkt immer weiter. Die Bundeskanzlerin zieht die CDU mit runter. Merkel kann ihre Erfolgsstrategie „Kurswechsel“ ohne Glaubwürdigkeitsverlust diesmal nicht einsetzen. Rechte Gruppierungen, aber auch die FDP kommen bei Umfragen weit über 5 Prozent. Die Regierungsmehrheit schmilzt ab. Es gibt erste Absetzbewegungen innerhalb der CDU und vereinzelte Übertritte von CDU-Bundestagsabgeordneten zur AfD. Diese ist dann – schon vor den nächsten Wahlen – im Bundestag vertreten.

Die CSU will die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU aufkündigen und bundesweit antreten. Einige CDU-Mitglieder schlagen Seehofer als Kanzlerkandidaten vor. Julia Klöckner wird zur Bundesvorsitzenden der CDU gewählt.

HARTMUT GRAF, Hamburg

Wesentliche Verbündete

betr.: „Göttin mit zwei Armen“, taz vom 6. 10. 15

Der Autor hat den wesentlichen Verbündeten der Kanzlerin bei ihrer Flüchtlingspolitik vergessen: das deutsche Kapital.

So hat man ja von Seiten der Arbeitgeber auch schon vernommen, dass diese durchaus bereit sind, ihren Teil zur Integration von Flüchtlingen in Form von Einstellungen beizutragen, aber bitte schön nur unter der Voraussetzung, dass der Mindestlohn wieder zurückgenommen wird. Nur vor diesem Hintergrund wird die neu entdeckte Humanität der Kanzlerin sowie der vermeintliche Widerspruch in der Frage der Flüchtlingspolitik innerhalb der christlichen Union erklärbar. Dieser Widerspruch kann nämlich auch als strategische Arbeitsteilung verstanden werden: auf der einen Seite die Rechtsausleger Seehofer, Söder und de Maizière als Männer fürs Grobe, die die deutschtümelnden Wählergruppen weiterhin an die Union binden sollen und damit für potentielle AfD-Wähler offen halten, auf der anderen Seite die Kanzlerin, die menschelnd die Interessen des Kapitals vertritt und dieses mit neuen Arbeitskräften versorgt.

Was in diesem Zusammenhang die mittlerweile politisch wie moralisch völlig auf den Hund gekommene einstige „Arbeiterpartei“ SPD betrifft, so ist die „Jetzt-ist-aber-endlich-mal-genug“-Rhetorik Gabriels in der Flüchtlingsfrage nur allzu durchsichtig. Vermeint man doch hier endlich einen Angriffspunkt gegenüber der bisher in Umfragen unangefochtenen Kanzlerin gefunden zu haben, um vor dem Hintergrund aktuell sinkender Umfragewerte für Merkel sich als zukünftiger Kanzlerkandidat der SPD besser in Position bringen zu können. Dass man dies dann auf dem Rücken von Bürgerkriegsflüchtlingen tut, dafür ist die SPD sich mittlerweile auch nicht mehr zu schade – wundern kann einen dieses angesichts der Entwicklung der Sozialdemokratie seit Schröder aber auch nicht mehr wirklich.

ROLF GUST, Bremen