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Archiv-Artikel

american pie Hollywood mit Ei

Die NFL bietet nicht nur Sport, sondern bisweilen auch richtig großes Kino

Der Amerikaner liebt seine Seifenopern. Ungehemmter liebt er nur noch seinen Football. Und am allerliebsten hat er es, wenn die beiden scheinbar so verschiedenen Unterhaltungsbranchen dramaturgisch geschickt miteinander verknüpft werden. Gerade in diesem Jahr liefert die National Football League (NFL) wieder einige Storylines ab, wie sie effektvoller auch nicht in einer professionellen Schreibwerkstatt gestrickt werden könnten.

Besonders dramatisch geriet die neueste, am vergangenen Wochenende aufgeführte achte Folge der diesjährigen Staffel: Bei den vom Hurrikan „Katrina“ eh schon gebeutelten New Orleans Saints drohte Chefcoach Jim Haslett seinen Spielern nach der vierten Niederlage in Folge mit dem Rauswurf. Saints-Besitzer Tom Benson prügelte sich beinahe mit einem Kamerateam und stritt sich mit Fans, die vermuten, der Klub würde aus finanziellen Gründen der überfluteten Stadt endgültig den Rücken kehren. Die NFL hat Benson bereits davor gewarnt, irgendwelche diesbezüglichen Verhandlungen zu führen, der aber verweigert jeden Kommentar.

Ein Handlungsstrang ging in Minnesota zu Ende. Nachdem die dort beheimateten und vor der Saison noch als Super-Bowl-Favorit gehandelten Vikings alle Titelchancen mit miserablen Leistungen eingebüßt und Schlagzeilen mit einer Sexparty auf einem Vergnügungsdampfer gemacht hatten, verloren sie am Sonntag auch noch ihren Quarterback und wichtigsten Spieler Dante Culpepper, der sich das Knie verletzte. In dieser Spielzeit wird Culpepper jedenfalls nicht mehr auflaufen.

In New York endete einer der am längsten laufenden Plots: Kurz vor dem achten Spieltag verstarb im gesegneten Alter von 89 Jahren Wellington Mara. Der hatte 1925 bei den Washington Redskins als Balljunge angefangen und war als deren Besitzer über Jahrzehnte einer der einflussreichsten Honoratioren der Liga. Seine Spieler verdrückten ein paar Tränen bei der freitäglichen Beerdigung und überrollten dann im Giants Stadium die sich dem Anlass angemessen in ihr Schicksal ergebenden Washington Redskins mit 36:0. Als Running Back Tiki Barber in der zweiten Halbzeit einen Touchdown erzielte, eilte er zur Seitenlinie, um das Lederei Tim McDonnell, dem Enkel des Verstorbenen, zu überreichen. Großes Kino, Hollywood wird sich bald die Rechte sichern.

Ebenfalls zu Tränen gerührt zeigte sich das Publikum in Foxborough, Massachusetts. Für die dort regelmäßig auftretenden New England Patriots feierte ein lang vermisster Hauptdarsteller ein umjubeltes Comeback: Tedy Bruschi verstärkte die Defensiv-Abteilung der Patriots und trug zum 21:16- Erfolg gegen die Buffalo Bills einige Tackles bei – nur achteinhalb Monate nachdem er einen Schlaganfall erlitten hatte und ein Loch in seinem Herzen operiert worden war.

Der Held gab sich bescheiden: „Ich bin einfach nur froh, wieder da zu sein. Ich werde auch noch besser.“ In einer raffinierten dramaturgischen Volte übernahm vor allem der Gegner das Lob des Helden. Der 32-jährige Bruschi sei „Herz und Seele ihrer Defense“, rezitierte Bills-Quarterback Holcomb. Und Mike Mularkey, Buffalos Trainer, monologisierte: „Seine Rückkehr gab ihnen Auftrieb. Das zu überstehen, was er überstanden hat, und wieder zu spielen, das ist schon was Besonderes. Jetzt ist er zurück und das ist positiv für die ganze Liga.“

Die steuert schon auf den nächsten Höhepunkt zu. Am Montag erwarten Bruschis Patriots, die als Titelverteidiger bislang eine äußerst durchwachsene Saison spielen, die Indianapolis Colts, das einzige noch ungeschlagene Team. Die Colts allerdings haben in den letzten Jahren stets nur Abreibungen von New England kassiert, die Patriots gelten als Angstgegner ihres sonst überragenden und Rekorde brechenden Quarterbacks Peyton Manning. Wird Manning sein Trauma überwinden können? Wird Tedy Bruschi pünktlich zur kommenden Folge wieder zum Nebendarsteller degradiert oder darf er weiter eine Hauptrolle spielen? All das müssen die Drehbuchschreiber noch entscheiden. THOMAS WINKLER