: Geachtet, aber nicht geliebt
WERKSCHAU Das Kino Arsenal zeigt die Filme der früh verstorbenen, aber unvergessenen sowjetischen Regisseurin Larissa Schepitko
VON BARBARA SCHWEIZERHOF
Zu den Eigentümlichkeiten der Kinogeschichte gehört, dass sie keine Geschichte der Sieger ist. Zu jeder Großtat, jedem Blockbuster, jeder 100-Werke-Filmografie gibt es das Gegenstück eines zu seiner Zeit übersehenen, missachteten Films, eines allzu schmalen Lebenswerks oder einer zu früh beendeten Karriere. Und in der Retrospektive der Geschichtsschreibung können letztere mehr Gewicht annehmen als jeder zeitgenössische Erfolg.
So kommt es, dass eine Regisseurin aus einem Land, das es nicht mehr gibt, früh verstorben, mit einer denkbar kurzen Filmografie, nicht vergessen ist – wie eben Larissa Schepitko. 1938 in der sowjetischen Ukraine geboren, studierte sie im Moskau der fünfziger Jahre unter anderem bei Alexander Dowschenko, um dann in den sechziger und siebziger Jahren lediglich fünf Filme zu drehen, bevor sie 1979 auf dem Weg zu ihren nächsten Dreharbeiten – zusammen mit ihrem Kameramann, ihrem Ausstatter und drei Assistenten – tödlich verunglückte. „Populär“ im heutigen Sinne war Schepitko nie. Ihre Filme gewannen zwar diverse Festivalpreise – in Karlovy Vary und Venedig, 1977 bekam sie für „Der Aufstieg“ („Woschoschdenije“) den Goldenen Bären in Berlin – ihre Verbreitung wurde von sowjetischer Seite aber alles andere als gefördert.
Lange Jahre übernahm die Aufgabe, an Schepitko zu erinnern, in fast heroischer Weise ihr hinterbliebener Ehemann, der Regisseur Elem Klimow. Er drehte nicht nur bereits 1980 einen sehr schönen und erstaunlich unsentimentalen Dokumentarfilm über sie (den das Arsenal ebenfalls zeigt), sondern machte es sich auch zum Anliegen, jenen Film zu realisieren, den Schepitko vor ihrem Tod drehreif vorbereitet hatte. 1983 fertiggestellt, fand dieser Film (deutscher Verleihtitel: „Abschied von Matjora“) 1986/87 seinen Weg in den Westen; die Perestroika machte es möglich. Auf ihrer Welle kam es auch dazu, dass 1988 im Forum der Berlinale Schepitkos 20 Jahre zuvor verbotener Kurzfilm „Rodina elektritschestwa“ als Teil des Omnibus-Films „Natschalo newedomogo weka“ („Der Beginn eines unbekannten Jahrhunderts“) lief. Es war ein Charakteristikum der achtziger Jahre, dass sich die normale Ordnung der Dinge verkehrt hatte, dass manch sowjetischer Film früher in der BRD als in der DDR ins Kino kam und Filme, egal ob drei oder dreißig Jahre alt, enorme Wirkung entwickelten.
Die Filme Schepitkos, die das Arsenal zeigt und die ihre Legende ausmachen, sind an ihren Credits bereits als „Tauwetter“-Ausläufer und Perestroika-Vorreiter zu erkennen. Ihr Spielfilmdebüt „Snoj“ („Hitze“, 1963) beruht auf einer Vorlage von Tschingis Aitmatow, der mit seinen persönlichen Geschichten vor mittelasiatischem Hintergrund den Streckverband des sozialistischen Realismus aufbrach. Der Kurzfilm „Rodina elektritschestwa“ (1967/87) ist die Verfilmung einer Erzählung von Andrei Platonow, eines später von Stalin unterdrückten Autors der 20er Jahre, dessen Werke zuerst die Tauwettergeneration wiederentdeckte. Die Vorlage von „Abschied von Matjora“ (1983) schließlich stammt von Valentin Rasputin, der mit seinen Gedanken zu Ökologie und Spiritualität zu einem Schlüsselautor der Perestroika-Jahre wurde. Und für ihren größten Erfolg, dem Berlinale-Gewinner „Der Aufstieg“ (1977) hatte sich Schepitko eine Erzählung von Wassili Bykow ausgesucht, dem bis heute viel gelesenen, erbarmungslos präzisen Chronisten der Zweite-Weltkriegs-Gräuel an der „Ostfront“.
So historisch das alles klingt, so zeitlos erscheinen jedoch die Filme, wenn man sie anschaut. Da sind die westernhaften Aufnahmen der mittelasiatischen Steppe in „Snoj“, die die Funktionärs-Traktoristen-Fabel mit ganz eigener Atmosphäre und Spannung aufladen, und da ist die Fellini-hafte Wehmut ihres einzigen Farbfilms, „Ty i ja“ („Du und ich“), der zwei Männer in der Midlife-Crisis zeigt – und trotz ihres fremden Settings bannen beide Filme den Zuschauer auch heute noch. Mit ihren zwei anerkannten Meisterwerken, „Krylja“ („Flügel“, 1966) und „Der Aufstieg“, verhält es sich noch einmal anders – sie brennen sich in die Wahrnehmung förmlich ein und lassen einen ungelogen für Jahre nicht mehr los.
Auch „Krylja“, der Film einer 28-Jährigen, erzählt schon von einer Midlife-Krise: Eine ehemalige Fliegerin und Kriegsheldin muss mit über 40 feststellen, dass sie zwar geachtet, aber nicht geliebt wird. Gefilmt mit Leichthändigkeit und Präzision, aber gänzlich ohne Klischees, verblüfft „Krylja“ in seiner absoluten Modernität. Schepitkos letzter Film, „Der Aufstieg“, dagegen kommt zunächst so moralisch daher wie das harte Schwarz-Weiß, in dem er gedreht ist. Vom „Evangelium nach Larissa“ sprechen manche, weil hier ein sowjetischer Partisan den Märtyrertod erleidet und der Film ihn unverhohlen Christus-ähnlich erscheinen lässt. Die Hinrichtungsszene – zu Musik von Alfred Schnittke – geht durch Mark und Bein. In der letzten halben Stunde wird kaum noch gesprochen; die emotionale Wucht der Bilder aber ist so groß, dass jede vorgefasste Moral daran förmlich zerschellt.
■ Die Filme von Larissa Schepitko: bis 31. Januar im Arsenal