Der Schritt, sich neuen Kreisen zu öffnen

AVANTGARDE Die als schwer zugänglich und elitär geltende Neue Musik möchte sich neu erfinden. Auf dem Programm des diesjährigen Ultraschall Festivals stehen das Berghain und nichtakademische Klangkunst

Seit 14 Jahren beginnt die jährliche Serie von Festivals für Neue Musik in Deutschland mit dem Festival Ultraschall, veranstaltet von Deutschlandradio Kultur und dem kulturradio vom rbb. Zehn Tage lang gibt es Werke der jüngsten Vergangenheit ebenso wie Klassiker der Avantgarde zu hören. Zu den diesjährigen Veranstaltungsorten zählen neben dem angestammten Sendesaal im Haus des Rundfunks, die St.-Elisabeth-Kirche, das Konzerthaus Berlin, die Sophienkirche, die Villa Elisabeth, das UNI.T – Theater der Universität der Künste sowie das Radialsystem und das Berghain.

■ Ultraschall 2013: 17.–27. Januar. 8–18 €, Festivalpass für 6 Konzerte: 60 €. Programm unter: www.kulturradio.de/ultraschall

VON ANDREAS HARTMANN

Das, was das andere große Festival für experimentelle Musik in Berlin, der im direkten Anschluss an das Ultraschall-Festival stattfindende Club Transmediale, schon seit einiger Zeit praktiziert, versucht nun auch Berlins renommiertes Festival für Neue Musik: Sich bereits rein räumlich stärker in der Stadt auszubreiten. Der Club Transmediale war örtlich früher fest in dem Club Maria verankert, legt sich nun aber wie ein Spinnennetz über die Stadt und bespielt unterschiedliche Lokalitäten vom HAU bis zum Berghain. Genau diesen Weg geht jetzt auch das Ultraschall, das zwar auch noch zu großen Teilen im angestammten Radialsystem über die Bühne gehen wird, in diesem Jahr aber auch einen Abend im Berghain gastiert, in der Volksbühne, im Tempodrom und sogar im Fritzclub im Postbahnhof. In Letzterem wird das Ensemble Modern dann Luciano Berio aufführen, einen Tag, nachdem hier Heinz Rudolf Kunze aufgespielt hat und einen vor einer Studentenparty. Skurril findet man eine derartige Ausbreitung eines Festivals für die als schwer zugänglich geltende Neue Musik längst nicht mehr.

Stockhausen vor Kraftwerk

Ganz im Gegenteil, sie kann als weiterer Schritt begrüßt werden, eine als hermetisch und elitär angesehene Neue Musik neuen Kreisen zu öffnen. Gerade im Kontext eines Clubs wie dem Berghain ist man sich längst bewusst, dass die Geschichte von Techno nicht unbedingt mit Kraftwerk begonnen hat, sondern dass bereits Stockhausen und andere Neutöner des zwanzigsten Jahrhunderts in bis heute auch in Teilen der Popkultur gültiger Weise mit Elektronik gearbeitet haben. Aber einen an diesen Zusammenhängen eigentlich interessierten Clubgänger dafür zu begeistern, im Radialsystem der Uraufführung irgendeiner elektroakustischen Komposition beizuwohnen, das ist immer noch so schwer, wie jemandem nach dem „Hobbit“ in 3-D die Filme von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet näher bringen zu wollen.

Installation im Berghain

Allerdings lagert das Ultraschall-Festival nicht unbedingt einfach Teile ihres auch in diesem Jahr wieder hochambitionierten Programms, bei dem nach traditioneller Festival-Manier Kompositionen bekannter Namen wie Iannis Xenakis, Hans Werner Henze und Arnold Schönberg neben denen vieler unbekannterer Avantgardisten zu hören sein werden, bloß aus. Der Berghain-Abend scheint vielmehr durchaus auf Berlins Superclub zugeschnitten worden zu sein. Zwei interessante Duo-Konstellationen stehen hier auf dem Programm. Einmal wird Dirk Dresselhaus alias Schneider TM mit seiner Elektronik auf den Leiter des unkonventionellen Neue-Musik-Ensembles Zeitkratzer treffen, auf Reinhold Friedl und dessen präpariertes Piano.

Genau wie Dresselhaus gehört auch der Finne Mika Vainio zu der beim Ultraschall selten anzutreffenden Spezies der nichtakademischen Klangkünstler. Der seit Jahren in Berlin lebende Pionier des Minimal-Techno, der mit seinem ehemaligen Projekt Pan Sonic ungeahnt extreme Frequenzen für den Techno erschloss, wird sich an den Klängen des Turntable-Künstlers und Multiinstrumentalisten Franck Vigroux aus Frankreich abarbeiten. Danach versprechen die Installationskünstler vom Sound Walk Collective mithilfe von an den Wänden angebrachten Kontaktmikrofonen, den Club auch ohne Musik zum Klingen zu bringen. Vielleicht hallt der Klang hunderter Partynächte ja immer noch in dem schweren Gemäuer nach und wird vom Sound Walk Collective und ihren technischen Tricks endlich befreit.

Zappas „Yellow Shark“

Dass das Ultraschall in diesem Jahr einen teils niedrigschwelligeren Zugang zu seinem Programm anstrebt, beweist auch der Abend im Fritzclub, der programmatisch die Frage stellt: „Was heißt Neue Musik?“ Allein die Fragestellung deutet darauf hin, dass man auch Anfängern bei der Materie Neue Musik eine Chance geben will. Neben Berio und anderen wird das Frankfurter Ensemble Modern Teile aus Frank Zappas letzter Platte vor seinem Tod, „Yellow Shark“, aufführen, die das Ensemble in den Neunzigern mit dem Meister eingespielt hat. Zappa, das ist doch der Typ von „Bobby Brown“, dem Stück, das immer bei den Studentenpartys im Fritzclub läuft, wird sich vielleicht so mancher denken und hören wollen, was Zappa sonst noch so gemacht hat.