LeserInnenbriefe:
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Französische Giftpflanzen
betr.: „Genosse Le Pen“, taz vom 2./3./4. 10. 15
Michel Houellebecq ist nur ein einfältiger Federhalter, der den modernen Louis-Ferdinand Céline geben will, aber nicht annähernd den style dazu hat. Außer einer berechtigten Wut auf die 68er-Generation hat er nicht viel zu sagen. Umso mehr flüchtet er sich in billige Provokation um der Provokation selbst willen. Dass er in Frankreich derzeit so tragweit ist – zu vergleichen mit dem dort so gefeierten Künstler Pierre Soulages, dem Schwarzmaler, der sich seit den 70 Jahren in immer derselben Farbe erleichtern muss, oder mit dem Popularpolitiker Sarkozy, dem Iznogoud, den Frankreich mindestens ein Mal zum Kalifen gemacht hat –, das alles ist Zeichen der unendlichen Dekadenz dieses Landes, das vor lauter suffisance(=Selbstgefälligkeit), vor lauter patrimoine, art de vivreund culture,gar nicht mehr mitkriegt, was es sich da für eine Giftpflanze hochzieht (Marine und ihr Front). Und wenn Michel Onfray behauptet, er sei weniger gegen sie (=Marine! Le Pen) als gegen die, die sie überhaupt möglich machen, dann ist mindestens ihm für einen Moment die Provokation gelungen. Wenn er sich allerdings gleich darauf in vermeintlichen Gemeinsamkeiten zwischen französischer Linken und dem Front National verzettelt, macht er sich selbst zu einem dieser Ermöglicher. DETLEF SCHEFEN, Berlin
Es geht nicht ums Nichtwollen
betr.: „Lina bleibt zu Hause“, taz vom 30. 9. 15
Deutlich wurde in Ihrem Artikel, dass es mit der Inklusion sogar der Kleinsten (manchmal) sehr schwierig ist und für das Finden einer geeigneten und angemessenen Betreuung in Kitas einige Hürden zu überwinden sind. Auch wenn die inhärenten Schwierigkeiten angesprochen werden, so wird doch der Kita indirekt der Vorwurf gemacht, es sich sehr leicht gemacht zu haben bei dem Infragestellen der weiteren Betreuung dieses Kindes mit besonderem Förderbedarf; die Assoziation von „Nichtwollen“ seitens der Kita drängt sich nahezu auf: „Die Kita sperrt sich, Lina zu betreuen.“
Dazu möchte ich nach den Erfahrungen, die ich als Supervisorin und Beraterin in vielen Kitas sammeln konnte, feststellen, dass es sich keine (Regel-)Kita mit der Betreuung von Kindern mit Integrationsbedarf leicht macht und in jedem Einzelfall sorgfältig prüft, was in ihrer Einrichtung verantwortungsvoll geleistet und getragen werden kann – und was, aufgrund von Ausstattung, organisatorischem Hintergrund des Trägers und fachlichem Kompetenzrahmen her unverantwortlich wäre. Das Ringen der Einrichtung um die „richtige“ Entscheidung ist in solchen wie dem beschriebenen Fall prozesshaft und wird nicht von heute auf morgen mal eben so gefällt. Das Ausgrenzung zu nennen, ist polemisch und geht an dem eigentlichen Punkt „ Was braucht es für die Inklusion von Kindern mit besonderem Förderbedarf?“ vorbei. GABRIELE TERGEIST, Hamburg
Frauenverachtende Szene
betr.: „Sisters of Mercy“, taz vom 29. 9. 15
Wer hätte es gedacht: Die taz ist in der Lage, einen Artikel zu schreiben, der nicht der Prostitutionslobby das Wort redet! Einen Artikel, der sogar weitgehend neutral über eine Initiative berichtet, die kritisch zur Prostitution steht! Es ist bekannt, dass die taz nicht den Zustand unserer Gesellschaft durchleuchten will, in der es normal ist, die wohl intimste körperliche Beziehung, die Menschen aufnehmen können, als käufliche Ware zu sehen, deren Käuferkreis eindeutig festgelegt ist.
Schade ist aber, dass sogar dieser Artikel die Informationen tendenziös wiedergibt. Sisters e. V. positionieren sich gegen Prostitution, nicht gegen Prostituierte – wie es das Zitat der Prostitutionslobby-Vertreterin implizieren soll. Schade auch, dass eine in diesem Thema hoch kompetente Frau wie Sabine Constabel so zitiert wird, als ob sie den Aussteigerinnen grundsätzlich nur schlecht bezahlte Jobs als Alternative bieten wolle. Nicht berücksichtigt wird, dass deren Herkunft, Ausbildung und psychische Belastungen anfangs oft nichts anderes zulassen. Und vernichtend, dass sich die angeblich so gesellschaftskritische taz vor den Karren einer frauenverachtenden kriminellen Szene spannen lässt. MICHAELA BINDER, München
Bewundernswerte Betreuung
betr.: „Bayerischer Irrsinn“, taz vom 1. 10. 15
Bisher habe ich die Vielseitigkeit Ihrer Berichterstattung immer sehr an Ihrer Zeitung geschätzt. In diesem Fall kann ich Aufmachung, Tenor und Intention des Textes überhaupt nicht nachvollziehen. Der Erfahrungsbericht einer Einzelperson wird dazu missbraucht, den Umgang Bayerns mit Flüchtlingen und ihren Helfern zu diskreditieren. Meine Erfahrungen der letzten Wochen in München sind durchweg andere: Helfer, Hilfsorganisationen, Polizei und Behörden arbeiten konstruktiv und effektiv zusammen und gewährleisten auf bewundernswerte Weise die Betreuung Zehntausender Flüchtlinge vor Ort, während die meisten anderen Bundesländer sich wesentlich zurückhaltender engagier(t)en. Nicht nur Staatsbedienstete, auch die breite Bevölkerungsschicht Münchens und Bayerns, die sich bisher bei der Unterstützung und Betreuung mit großem Engagement eingebracht hat, wird durch diese Art von Berichterstattung diskreditiert. NICOLE FRENZEL, München
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