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Archiv-Artikel

Jalta, Potsdam, Kopenhagen

ZUKUNFT Bei der Klimakonferenz geht es nur vordergründig um den CO2-Ausstoß. Verhandelt wird, wer im 21. Jahrhundert wirtschaftlich, sozial und kulturell das Sagen hat

„Beim Poker gewinnt nicht der, der als Erstes sein Blatt zeigt“

Jörg Asmussen, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium

VON BERNHARD PÖTTER

Selten hat es so ehrliche Worte zum UN-Klimagipfel gegeben: „Beim Poker gewinnt nicht der, der als Erstes sein Blatt zeigt“, sagte der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Jörg Asmussen Ende Oktober bei den EU-Verhandlungen zur Finanzierung des Klimaschutzes. Dass das Weltklima nicht ein Kartenspiel ist, das man mal eben so verlieren kann, dass die Spielschulden aus dieser Zockerei nicht Amusssen, sondern seine Kinder zu zahlen haben, dass man vielleicht seine Mitspieler so weit verärgert, dass sie den Spieltisch verlassen – geschenkt. Wichtig ist die Haltung, die der Staatssekretär formuliert hat und die deutlich zeigt, wie ernst die Verhandlungen in, vor und nach Kopenhagen genommen werden.

Denn bei der Debatte geht es nur vordergründig um ein paar Grad Celsius, ein paar parts per million CO2 oder das Überleben der Eisbären, sondern um knallharte Realpolitik. Was verhandelt wird, ist nicht irgendein Umweltabkommen. Es ist auch nicht in erster Linie die Rettung der Welt. Sondern das globale Machtgefüge im 21. Jahrhundert und darüber hinaus. An der Behandlung des Klimathemas entscheidet sich, wer in der Zukunft auf dieser Welt politisch, wirtschaftlich, sozial und kulturell das Sagen hat – und wer sich am Katzentisch wiederfindet.

Kopenhagen ist für das 21. Jahrhundert, was die Konferenzen von Jalta und Potsdam für das vergangene Jahrhundert waren. Allerdings sitzen heute nicht drei, sondern 192 Vertreter von Staaten am Tisch, die trotz Unterschieden in ihren politischen Systemen, ökonomischen Bedingungen und ideologischen Weltsichten zum Konsens verdammt sind. Weitaus direkter als in Potsdam sind die Lebensgrundlagen der Menschheit bedroht, ähnlich wie durch die Beschlüsse von Jalta werden Millionen Menschen ihre Heimat verlieren, und die Gemeinschaft der Staaten muss darauf reagieren. Doch anders als vor 64 Jahren geht es heute nicht einfach darum, ein paar Ländergrenzen neu zu ziehen, sondern das hochkomplexe Geflecht der weltweiten Infrastruktur von Energieerzeugung, Mobilität und Ernährung in kurzer Zeit radikal umzustellen, andere Konsummuster zu verankern und einen Ausgleich zwischen den reichen Nationen und den aufstrebenden Habenichtsen herzustellen. Und anders als in Potsdam bestimmen die Politiker längst nicht mehr allein über den Gang der Dinge: Die Masters of the Universe aus der Wirtschaft und die globalisierte Zivilgesellschaft in Form von Umwelt- und Entwicklungsgruppen schränken ihren Spielraum massiv ein.

Reichlich hilflos wirkt da der in der Sache völlig berechtigte Appell an Moral und Verantwortung der Verhandler. Natürlich geht es darum, welche Lebenschancen wir den nächsten Generationen von menschlichen und nichtmenschlichen Lebewesen einräumen; natürlich ist der Klimawandel ein Großexperiment mit ungewissem und potenziell destruktivem Ausgang. Aber niemand erwartet Gutmenschentum beim zähen Ringen um Abrüstungsverträge oder beim Basargefeilsche um Meistbegünstigungsklauseln im Handel. Bei den Klimaverhandlungen dagegen erwarten wir den guten Willen der angereisten Umweltminister, die oft so sympathisch wie hilf- und machtlos sind.

Das wird auch in Kopenhagen so sein. Und weil die Kellner nicht das Menü bestimmen können, werden dort die Köche erwartet. Staats- und Regierungschefs werden nicht nur nach Kopenhagen kommen, um das Thema mit ihrer Präsenz aufzuwerten oder für die Wähler zu Hause gut auszusehen – sondern vor allem um sicherzugehen, dass sie im weltweiten Machtpoker nicht durch den Schnitzer eines Untergebenen über den Tisch gezogen werden. Denn wie in Potsdam die Spielregeln für den Kalten Krieg festgelegt wurden, stehen bei den Klimaverhandlungen die Rahmenbedingungen für den Heißen Frieden zur Entscheidung.

China wird Supermacht

Der Klimawandel mischt die Karten im politischen Kräftemessen neu: China steigt endgültig zur neuen Supermacht auf und besetzt die Leerstelle, die die zerbröselnde Sowjetunion nach dem Kalten Krieg hinterlassen hat. Die USA und China besitzen als größte Treibhausgasnationen die Fähigkeit zum ökologischen Overkill. Ohne sie geht nichts, und nur sie können einen Deal zum Erfolg führen. Bisher scheuen die beiden Gigatonnen-Giganten diese Verantwortung. Doch beiden ist auch klar, dass sie nur erfolgreich sein können, wenn sie sich gemeinsam bewegen. Dazu kommt eine Veränderung in der Machtbalance durch bislang marginale Staaten. Indonesien, Kongo oder Gabun etwa bekommen plötzlich internationales Gewicht – allein weil sie durch die Vernichtung des Regenwalds auf ihrem Territorium das Weltklima beeinflussen. Die Opec wird sich bei sinkender Ölproduktion an schwindenden Einfluss gewöhnen müssen – oder die Ölländer steigen auf erneuerbare Energien um. Brasilien entwickelt sich weiter zur Agrarsupermacht, die mit den USA und China gleichzeitig ins Geschäft kommt. Und die lange geschmähten internationalen Organisationen wie UNO oder auch Weltbank gelten plötzlich wieder als Instanzen, wo Interessenausgleich stattfinden muss. Wer sonst könnte etwa einen internationalen Austausch von Emissionszertifikaten überwachen.

Die Entscheidungen in der Klimapolitik verändern auch die ökonomische Weltkarte. Wenn aus den alten Industrienationen Milliarden von Dollars und Euros in die Schwellen- und Entwicklungsländer fließen, um dort neue kohlenstofffreie Techniken aufzubauen, finanzieren die Reichen der Welt die Aufholjagd der Habenichtse. Weil sie damit ihre Konkurrenz von morgen alimentieren, wird die Entscheidung darüber schwerfallen – aber sie ist ohne Alternative. Gleichzeitig entstehen die Märkte und Produktionsstätten der Zukunft in China, Indien und Brasilien, die Schere zwischen Arm und Reich schließt sich ein wenig – doch der weltweite Konkurrenzkampf um Forschung, Techniken und die fähigsten Köpfe bedeutet auch, dass die Länder des Nordens nicht mehr unbedingt „Industrieländer“ sind. Schon heute haben Dutzende „Entwicklungsländern“, die das Kioto-Protokoll unterzeichnet haben, ein höheres Pro-Kopf-Einkommen als viele Staaten, die noch 1997 als „reicher Norden“ galten.

Schließlich bläst der Sturm des Wandels auch in der ideologischen Ecke. Denn indirekt wird in Kopenhagen auch darüber verhandelt, wer das beste System vorweisen kann, um die Systemkrise Klimawandel zu beherrschen. Vom ungebremsten globalen Kapitalismus ist bei gleichzeitiger Wirtschafts- und Klimakrise praktisch nichts mehr zu erwarten. Da wird die Debatte laut über eine „Kriegswirtschaft“, über massive staatliche Eingriffe in Wirtschaft und Privatleben. Sind die chinesischen Staatskapitalisten in der Lage, ihr Land schneller und erfolgreicher auf grünen Kurs zu bringen als die USA, die in ihrem politischen und ideologischen Individualismus gefangen sind? Sehen wir in der beharrlichen und sturen Bürokratenarbeit der EU-Kommission hin zu mehr Klimaschutz (Beispiel Energiesparlampe) den Beginn des freundlichen Ökostalinismus? Oder ist nach dem Bankrott der autoritären Systeme von Faschismus, Staatssozialismus, religiösem Fundamentalismus und Turbokapitalismus eine andere Gedankenwelt machbar?

Diese Agenda 2100 wird vorangetrieben, selbst wenn Kopenhagen scheitern sollte. Dann wird sich wie im Kalten Krieg das Geschehen auf Stellvertreterkonflikte verlagern, der Wettlauf nach den verbleibenden Ressourcen wird sich verstärken, die Konflikte selbst unter etablierten Mächten werden zunehmen – wie das Beispiel des Öl- und Gasbooms in der eisfreien Arktis zeigt. Denn Kopenhagen wird nicht der Ort sein, wo das Klimaproblem zu lösen ist. Wenn die Konferenz Erfolg hat, dann beginnt dort ein jahrzehntelanger Prozess hin zu einer zukunftsfähigen Wirtschafts- und Lebensweise. Wenn nicht, wird man alle diese Entscheidungen später treffen. Aber das endet dann ungemütlich, teuer und für viele Menschen tödlich.

Weltkonflikt entschärfen

Bei der Konferenz von Potsdam kamen die Siegernationen zusammen, um die nächste große militärische Konfrontation zu verhindern. Darin waren sie für Europa erfolgreich. Aber gleichzeitig entwickelte sich der Kalte Krieg zu einer Matrix, nach der über die folgenden Jahrzehnte gehandelt und verhandelt wurde: Innen- und Außenpolitik, Ressourcensicherheit, Wirtschaftsbeziehungen, kultureller Austausch oder Umweltpolitik ordneten sich dem Diktat der Blockkonfrontation unter. Ein ähnliches Muster zeigt der Klimawandel: Im 21. Jahrhundert wird es kaum noch Bereiche geben, die nicht von der radikalen Veränderung der natürlichen Lebensgrundlagen betroffen sind: Sicherheitspolitik, Energieversorgung, Nahrungsbeschaffung, Wirtschaftswachstum, Finanzinvestments oder Gesundheitsvorsorge werden sich durch die veränderten klimatischen Bedingungen und durch unsere Reaktionen darauf stark verändern.

20 Jahre nach dem Fall der Mauer bieten die Verhandlungen in Kopenhagen die Chance, einen drohenden Weltkonflikt zu entschärfen, in dem es schon jetzt für viele Menschen um das nackte Überleben geht. Bei allen Parallelen zum Kalten Krieg steht die Politik in Zeiten des Klimawandels aber unter deutlich höherem Druck zu handeln. Denn bei der Konfrontation zwischen Nato und Warschauer Pakt sicherte das Festhalten am Status quo das Überleben. Die beste Option war oft das Nichtstun. Dieses Verhalten aber führt beim Klimawandel direkt in die Katastrophe. Und auch die Neutralität ist im Heißen Frieden keine Alternative: Beim Klimawandel gibt es keine blockfreien Länder.