: Im Anwohnerpark
MANJA PRÄKELS
Teil 3: Liebe, wo sie hinfällt oder: Django wird nicht wach
Der beste Gitarrist der Welt lag ausgestreckt auf seinem Bett im letzten unsanierten Haus der Straße. Eine Fliege umkreiste seinen Kopf. Für einen kurzen Moment dachte Lale, er sei tot. Dem Dreck an Schuhsohlen und Bettdecke nach zu urteilen, war er bei Regen heimgekehrt, letzte Nacht, als erneut ein heftiges Unwetter die Straße geflutet hatte. Djangos Atem war flach aber beständig. Ob sie ihn wecken sollte? Lale zog vorsichtig die schweren Vorhänge auseinander. Kohlenstaub rieselte ihr ins Gesicht. Der schwache, grüne Schimmer, der im Erdgeschoss des zweiten Hinterhofs vom Sonnenschein übrig blieb, huschte über die reglose Hand des Gitarristen.
„Welchen Wein können sie mir denn empfehlen?“
Die Bioladenfrau blickte erschöpft zum Himmel empor. Wolken zogen still und leicht dahin. Wie im Flug war die Verschnaufpause vergangen, die die Ferienzeit der kleinen Straße, den zurückgelassenen Bewohnern und ihrem Laden verschafft hatte. Unterm Schuhwerk der vorbei eilenden Passanten raschelten bereits die Blätter. Sie zwang sich zur Konzentration: „Ich bring ihnen ein Glas.“
Verdutzt schaute die Hauptstadtbesucherin der Bedienung hinterher. Ihre Freunde vom Kegelklub hatten sie gewarnt: Berlin, das sei schon eigen. „Sehr eigen“, seufzte sie leise, während sie ihren Blick über die anderen Gäste gleiten ließ, auf der Suche nach Zustimmung, nach etwas Vertrautem. Nichts. Sie strich einen kleinen Käfer von ihrem Kleid und beobachtete die Kneipenwirtin nebenan. Unter der dem Bioladen am nächsten stehenden Sitzbank schien etwas deren Aufmerksamkeit zu erregen.
„Er liebt mich. Er liebt mich nicht.“
Lale hatte sich auf die Bettkante gehockt und zupfte an einem der Gänseblümchen, die sie auf dem Weg zur Schicht für Django gepflückt hatte. Eigentlich wollte sie sich einen Haarkranz flechten. „Menno!“ Er wurde einfach nicht wach. Es klopfte. Wahrscheinlich der Komponist von oben drüber, der sich sein W-Lan mit dem besten Gitarristen aller Zeiten teilte. Der Komponist war Balte und lief immer krumm und mit eingezogenem Kopf zum Supermarkt und wieder zurück. Sonst sah man den eigentlich nie. Sie fand den toten Router unter einem Ascheberg. Mist, der Strom war wieder abgestellt. „Ej, da is einer an der Tür!“. Kein Rütteln half. Draußen im Flur polterte der Komponist wieder die Treppen hoch. „Ach Django.“
Sie flocht geduldig die Hälmchen in ihren Händen, drapierte das Blumengebilde sanft auf dem Haupt ihres Liebsten und lächelte. Er sah jetzt aus wie ein schlafender Sumpfelf. Selbstvergessen begann Lale, die Kleider vom Boden aufzusammeln, Hemden, Hosen, Socken, Krawatten. Dabei fiel ihr auch die Rechnung in die Hände, deretwegen der Komponist geklopft hatte. Meistens konnte er sie sogar begleichen. Lale kapierte nicht, wie der Typ mit diesen irren Klängen, die nachts aus seiner Wohnung drangen, Geld verdienen konnte. Und Django nicht.
„Scheiß Fuchs wieder.“ Eigentlich mochte Hildegard Füchse, auch die Igel und Katzen, die im Morgengrauen unter die parkenden Autos geduckt am blaulicht vorbei schlichen. Aber seit sie einmal beobachtet hatte, wie sich Fuchs und Ratte einen Kampf auf Leben und Tod geliefert hatten, war sie gewarnt. Bereits beim Reingehen war ihr der Geruch aufgefallen. Um Himmels Willen. Das Ordnungsamt machte schon genug Stress. Heiner Müller setzte sich wie üblich an den Außentisch. Der durfte das ruhig sehen. „Na, einen Fang gemacht?“ Hildegard ließ den Kadaver mit gespreizten Fingern in die Mülltüte gleiten. „Siehste doch!“
Manja Präkels, Jg. 1974, schreibt, singt und tourt mit ihrer Band „Der Singende Tresen“. Soeben erschien beim Verbrecher-Verlag die von ihr mit Markus Liske herausgegebene Textsammlung „Vorsicht Volk!“. Seit 2009 betreiben die beiden die Gedankenmanufaktur WORT & TON. Ihr Romandebüt „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ erscheint 2016.
Illustriert wird die „Im Anwohnerpark“-Serie von Maria MacDonald, cargocollective.com
Anne stellte der weißen Dame das nunmehr dritte Glas auf den Tisch. „Wollen sie vielleicht etwas essen?“ Das war der Blick laßmichinruh. Manche Menschen werden melancholisch vom Wein. Vor allem, wenn sie allein sind. Während sich die Stammgäste in den Bildschirmen ihrer Computer und Handtelefone verloren, zog diese Dame den Rausch vor. So wie der Heiner-Müller-Typ vorm Nachbarladen. In einer perfekten Welt würden sie beieinander sitzen, am selben Tisch. Ohgott, sie brauchte dringend Urlaub. Drinnen im Laden wuchs eine Menschenschlange. Die neue Aushilfe würde noch eine Weile brauchen, bis sie eingearbeitet war. „Anne, kannst du mir eine Suppe rausbringen?“ Hört, hört! Zumindest einer der Bildschirmzombies war noch am Leben.
Hildegard war nicht sauer auf Lale. Sie hatte die Kleine schließlich rübergeschickt, zu Django. Kneipenverbot. So was klingt doch viel besser aus dem Munde einer Geliebten. Aber jetzt machte sie sich Sorgen. Was, wenn der wieder ausrastete? Lale war seit einer Stunde überfällig, die Schicht in vollem Gange. „Wie immer?“ Sprottenpeter nickte. Er sah gut aus, seit er seine alte Jugendliebe wieder getroffen hatte. Nur hielt Hildegard nicht viel von dieser Marianne. Aber kam es darauf an? Sie kicherte, zapfte und war für einen Moment abgelenkt von der Sorge um ihre beste Tresenkraft.
Sprottenpeter schnappte sich sein Bierchen und trat vor die Tür. Amüsiert beobachtete er, wie Lale über die Straße gehüpft kam und dem verdutzten Heiner Müller um den Hals fiel, ihn stürmisch auf die Stirn küsste, ihre Arme hoch riss, sich nach nebenan wandte und flötete. „Huhu Anne!“ Das Bioladenpublikum blickte sich in einer Formation aus drehenden Hälsen zu ihr um. „Hallo Lale!“, erwiderte Anne nebensächlich. Diese Art Auftritt, das sagte ihr ihre Erfahrung, verhieß nichts Gutes. Heiner Müller hatte sich erneut in seine Lektüre versenkt, rauchte und schwieg.
Lale aber reckte ihre geballten Fäuste in den Himmel, lachte kehlig und rief, lauter als die Abendamsel: „Leute, ihr werdet es nicht glauben!“
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