: Der Stubenhocker
Der 19-jährige Abiturient Felix Geitel ist seit einem Monat taz-Abonnent. Die linke Ausrichtung entspricht ihm, aber eigentlich weiß er nicht, warum
VON DAVID DENK
Das nennt man dann wohl Cocooning. In Felix Geitels Zimmer sitzen fünf junge Leute um eine Wasserpfeife und denken gar nicht dran, ihr Nest zu verlassen. „Wir gehen abends meistens zu Freunden, weil es sonst zu teuer wird“, sagt Franziska.
Man kann ihre Namen ruhig nennen, schließlich nehmen sie keine Drogen, sondern inhalieren Melonentabak. Felix’ Freundin Yasanthi ist noch dabei und seine beiden Mitbewohner Kornelius und Oskar, Felix’ großer Bruder. Seit Juni wohnen sie zusammen in der Altbauwohnung in Halensee, in der schon Kornelius’ Eltern und Großeltern zu Hause waren.
Felix ist 19 und geht auf die Hildegard-Wegscheider-Oberschule. Leistungskurse: Kunst und Englisch. Nächstes Jahr macht er Abitur. Ein guter Zeitpunkt für das erste Zeitungsabo. Felix hat sich Anfang Oktober für die taz entschieden, weil sie „eher linksgerichtet ist“ und ihm deshalb entspreche. „Außerdem brauchten wir ein Abo, weil wir hier sonst keine Zeitung gehabt hätten.“
Er hat es sich im Schneidersitz auf seinem dunkelgrauen Sofa gemütlich gemacht, barfuß und in Wohlfühlklamotten, alles schwarz. Im Schoß hält er die Hand seiner Freundin. Auf dem Tisch liegt neben einer großen weißen Kerze „Die Kunst des Liebens“ von Erich Fromm. An der Wand hängen Plakate von Felix’ Filmfavoriten: 2001 – Odyssee im Weltraum, Clockwork Orange, Shining, Der Pate, Apocalypse Now, Taxi Driver, Es war einmal in Amerika – allesamt vor seiner Geburt entstanden.
Genau wie die taz, die er jeden Morgen auf dem Schulweg aus dem Briefkasten nimmt und in Pausen und Freistunden, „also eher zwischendurch“, liest. Er beginnt mit der Titelseite; Kultur, Inland und Berlin-Teil folgen. Die Leibesübungen liest Felix nicht, findet es aber „schön, dass die Seite bei euch noch so heißt“.
Über die Geschichte der taz wisse er nicht viel, gibt er zu. Deutscher Herbst, Gegenöffentlichkeit, Ironie – das alles scheint ihn nicht besonders zu interessieren. Schnee von vorgestern. Der ganze Pragmatismus seiner Generation passt in nur einen Satz: „Einen Text, der mich nicht direkt betrifft, lese ich meistens nicht.“
Auf die Frage nach seinen Hobbys weiß Felix zunächst keine Antwort. „Obwohl ich nichts tue, habe ich immer was zu tun“, sagt er. „Komisch, oder?“ Mit Unterstützung seiner Freunde fallen ihm dann doch noch einige ein: Lesen, Filmegucken, Malen, Fahrradfahren und Kochen zum Beispiel, meistens Pasta. „Auch Kaninchen in Senfsauce und Eisbein zum Geburtstag“, souffliert Kornelius. Am 4. Oktober war das. Felix hat reingefeiert. „Am Tag der Deutschen Einheit muss man deutsches Essen machen“, begründet er seine Wahl. Seine Stimme verrät keine Ironie.
Auch über die Bücher im riesigen Regal spricht er abgeklärt wie ein alter Mann: „Manches hat man einfach, um es zu haben, und nicht, um es zu lesen, zum Beispiel Karl Marx.“ Offenbar meint er auch das ernst.
Felix reflektiert kaum darüber, warum er taz-Abonnent geworden ist. Die linke Ausrichtung, „weil sie interessant geschrieben ist“ – mehr fällt ihm nicht ein. Die meisten seiner Mitschüler lesen Tagesspiegel, seinem Bruder Oskar reicht Spiegel Online. Felix’ taz-Ausgaben stapeln sich auf seinem Schreibtisch. „Ich archiviere sie – ohne genau zu wissen, warum.“
Anstatt noch jemanden in die WG aufzunehmen, haben sich Felix, Kornelius und Oskar ein Wohnzimmer gegönnt. Vom Balkon aus sieht man den Funkturm. In der Tür zum Flur türmen sich bis auf Kniehöhe Kartons mit Programmvorschauen des Berliner Theaterclubs, die Felix fast jeden Abend verteilt.
Heute hat er frei. Und sitzt mit seiner Freundin noch ein bisschen auf dem dunkelgrauen Sofa. Auf der Innenseite der Wohnungstür klebt ein Zettel: „Interne Rufnummern“. Mit denen können sie sich in ihren Zimmern anrufen. „Ja“, gibt Felix unumwunden zu.“ Wir sind faul.“