Tote Lippen sollst du küssen

Morbide Mesalliance: Die animierten Puppen im Stop-Motion-Musical „Tim Burton’s Corpse Bride“ heiraten über Standes- und Grabesgrenzen hinweg

von ANDREAS BUSCHE

Johnny Depp und Helena Bonham-Carter sind ein Traumpaar des Goth. Mit seinen aristokratischen Wangenknochen, seinen fein akzentuierten Gesichtszügen, seinem entkräfteten In-Sich-Gekehrtsein und seiner düsteren Melancholie hat Depp das Zeug zum „New Romantic“-Posterboy. Man denke nur an den Edward mit den Scherenhänden oder an Ichabod Crane aus „Sleepy Hollow“. Und auch Bonham-Carter mit ihrem zerbrechlich-schönen Merchant-Ivory-Gesicht und ihrer viktorianischen Grazie hat einen Hang zum Jenseitigen, Schattenhaften. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ein Regisseur die beiden zusammenbringen würde. Dass dies nun ausgerechnet Tim Burton ist, überrascht kaum; sowohl Depp als auch Bonham-Carter sind seit Jahren regulars in Burtons Filmen – mit Bonham-Carter verbindet Burton darüber hinaus eine private Liaison.

Eine morbide Ménage à trois ist Burtons neuer Film „Corpse Bride“ also, in der alle Ingredienzien von Burtons privaten Obsessionen in selten gesehener Detailfreude präsent sind: sein Faible für Tod und Verderben, europäische Spätromantik, transgressive Praktiken und expressive Schattenspiele. Doch Depp und Bonham-Carter, vielmehr die Puppen, denen sie ihre Züge und Stimmen leihen, sind ein tragisches Paar, voneinander getrennt durch den Tod, der für sie nur kurzzeitig überwindbar ist. In der Nacht vor seiner Hochzeit mit der adligen Victoria (modelliert nach und gesprochen von Emily Watson) erlöst Victor aus reiner Schusseligkeit den Leichnam der „Corpse Bride“ (schon etwas angenagt, aber an den richtigen Stellen wohlproportioniert) von einem bösen Fluch und nimmt sie damit unbeabsichtigt zur Frau. Während die schöne Untote Victor in das Reich der Unterwelt, eine farbenfrohe Mischung aus englischer Spelunke und Moulin Rouge, entführt, wartet Victoria sehnsüchtig auf die Rückkehr ihres Bräutigams. Die Geschichte von „Corpse Bride“ passt auf einen Bierdeckel; tatsächlich hat ein Gedicht Burton zu seinem Film inspiriert. Und er fand die Grundidee so reizvoll, so kabbalistisch und nekrophil, dass er sich dazu entschloss, sie statt mit Menschen mit Puppen zu verfilmen.

Man muss Burton nur von der Textur von Stop-Motion-Animationsfilmen schwelgen hören, um seine Faszination für Handgearbeitetes zu verstehen. Kein Computerprogramm kann diese fantastische Stofflichkeit generieren. Die leicht holprigen Bewegungen der Puppen (hier scheinbar mit digitalen Mitteln geschmeidiger gestaltet) verleihen den Figuren Charakter, ihre staksigen, grotesken Körper (Wasserköpfe auf Stelzenbeinen, bizarre Anthropomorphismen) erregen unser Mitgefühl ähnlich wie hässliche Schoßhunde. Der Fantasie des Schöpfers solcher Puppenwelten sind notwendigerweise materielle Grenzen gesetzt, trotzdem ist die überbordende Detailfülle von Burtons kleinem Hades ein furioses Spektakel.

„Corpse Bride“ erweckt, mehr noch als „Nightmare Before Christmas“, Burtons erster Animations-Langfilm, den Eindruck eines vollgestellten Kinderzimmers. Er ist angefüllt mit Gimmicks und Referenzen aus der Asservatenkammer des europäischen Mystizismus: Slawische Begräbnisrituale, „Danse Macabre“-Ikonografien, heidnischer Synkretismus, obskure literarische Quellen. Burtons Untote gibt es in allen Variationen, als jivende Skelett-Combo, sprechende Köpfe, erdolchte Ehrenmänner, halbierte Gesellen oder furchige Alchemisten. Die Stimmung im Jenseits könnte nicht besser sein.

Das alles ist durchaus familienfreundlich angereichert – wenn man Burton etwas vorhalten könnte, dann, dass seine morbide Fantasien stets einen pastoralen Unterton in sich tragen. Aber der Einwand verblasst angesichts dieser wunderschönen, todtraurigen und unmöglich-tragischen Liebesgeschichte, die „Corpse Bride“ erzählt. Ihre Ausweglosigkeit erinnert an die großen europäischen Dramen (nicht zufällig lautet – in Verbeugung vor den großen verblichenen Dramatikern – der vollständige Titel des Films „Tim Burton’s Corpse Bride“). Denn eigentlich, und hier ist Burton, der kindsköpfige Nonkonformist, leider sträflich inkonsequent, sollte dies nicht die Geschichte von Victor und Victoria sein, sondern von Victor und der Totenbraut, deren blauer Körper im Mondlicht so verführerisch schimmert. Aber Lieben heißt eben auch bei Burton, dass man loslässt, bevor es zu spät ist. Darum opfert sich die „Corpse Bride“ am Ende und lässt die vornehm Blässlichen mit ihrer irdischen Liebe zurück.

„Tim Burton’s Corps Bride“, Regie: Tim Burton, Animationsfilm (mit den Stimmen und Gesichtszügen von Emily Watson, Johnny Depp, Helena Bonham-Carter u. a.), USA 2005, 76 Min.