: Erleben im Hier und Jetzt
BEWUSST Meditation, Management und Musik: Eindrücke vom Forever Now Festival in der Neuen Heimat
von Sylvia Prahl
Es tönt aus allen Reihen, erst kehlig verhalten, schnell lauter und in gut hörbarer Stimmlage. Wenige Minuten nach Beginn der Eröffnungsveranstaltung des Forever Now Festivals, das noch bis zum Sonntag auf dem RAW-Gelände das Leben im Hier und Jetzt und die Transformation zelebriert, wird klar: Publikum und Veranstalter füllen das Motto, das der Festivaltitel vorgibt, mit Leben.
Kaum haben die am Donnerstagnachmittag erschienenen Festivalbesucher erwartungsvollen Blicks ihre Yogamatten abgelegt, lädt Markus Stockhausen, Sohn von Karlheinz, ein, zu den improvisierten Klängen seines Horns zu tönen und zu singen. Gesagt, getan, Stockhausen nimmt das unmittelbar einsetzende rhythmische Schnipsen und Klatschen der Teilnehmenden in sein Spiel auf, im Nu ist die kühl anmutende Atmosphäre der Halle 16 in der Neuen Heimat angefüllt mit positiver Energie.
Raum für Vertrauen
Gleich danach übernimmt die Künstlerin und Performerin Anir Leben das Mikrofon, fordert alle auf, die Augen zu schließen, Füße und Sitzbeinhöcker zu spüren und den Jetztzustand des eigenen Körpers wahrzunehmen: „Mal schauen, wie es ist, hier in einem unklaren Raum zu sein, ohne zu wissen, was als Nächstes passiert und ob ich es genießen kann.“ Männer in Pluderhosen zappeln, die im Bürodress auch, Fremde nehmen sich zur Begrüßung in die Arme, lächeln sich an. Wir sollen Geräusche machen, die uns in den Sinn kommen beim Anblick der anderen, das klingt nicht immer schön, verbindet aber.
Gemäß der Überzeugung, dass Lachen und Stress sich gegenseitig ausschließen, wird herzlich gelacht. Selbst die etwas eng gestellten Stuhlreihen stellen beim Umherwandeln kein Hindernis dar. Kräftiger Applaus und ein kurzes Statement von Festivalkurator Matthias Ruff folgen: Er betont das Wir, das Gemeinsame der Reise, auf der sich alle „authentisch begegnen und dadurch einen Raum für Kultur und Vertrauen öffnen“ sollen.
Szenenwechsel. Im Bucky Dome, einem lichten Zelt, der Kuppelkonstruktion des US-Erfinders Buckminster Fuller nachempfunden, lädt Manfred Rosen zur Meditation ein. „Komm rein!“ Offenen Blicks heißt der Zenmeister Anfänger wie Meditationsprofis gleichermaßen willkommen zum „Zasen – Sitzen“. Er gibt kurze Tipps zum Sitzen, erläutert, dass es beim Zen um keine Theorie und Lehre geht, die einem an die Hand gegeben wird, sondern nur um die eigene Erfahrung und darum, was sie mit uns macht.
Es geht um das Erleben im Hier und Jetzt. Dabei wird der rote Faden des Festivals erkennbar: das Spüren des Augenblicks. Was auch Außengeräusche einschließt, das gut vernehmbare Fluchen eines Festivalmitarbeiters hinter dem Zelt sorgt für Heiterkeit. Für Verwirrung sorgt bei einer englisch sprechenden Teilnehmerin, dass die Sitzung auf Deutsch durchgeführt wird. Wie bei den anderen Veranstaltungen auch findet sich jemand, der simultan übersetzt. Ein Punkt, der sicherlich in Zukunft anders gelöst werden sollte. Nach einer Runde des Sitzens gehen wir im Kreis, danach wird wieder gesessen, diesmal in Stille, dabei den Blick unfokussiert nach vorn gerichtet. Die Gedanken fließen vorbei, der Kopf soll frei werden.
In der Haupthalle hält der Physiker und Volkswirt Ulf Brandes derweil einen Vortrag, hier Keynote genannt, der sich mit der Ganzheit von Arbeit und Leben beschäftigt. Er schließt mit den Worten, dass ein starkes Wir nicht ohne ein starkes Ich möglich sei. Dafür müssen wir unser Innen und Außen zusammenbringen. Im Anschluss schließen sich die Leute, ohne zu zögern, zu Vierergruppen zusammen und tauschen sich darüber aus, was im inneren und äußeren Erleben für sie relevant ist. Doch auch wer sich entschließt, nicht aktiv teilzunehmen, wird respektiert und nicht bedrängt.
Female Leadership
Weitere Bestandteile des interdisziplinären Festivals sind Interaction-Workshops, bei denen es um Kommunikation geht oder einfach nur getanzt wird – so bringt Melissa Honeybee in der kleinen Halle eine Handvoll bequem gekleideter Best Ager unter dem Banner „Ecstatic Dance – Free-Flow-Wave“ zu karibischer Musik in Wallung. Die Yogakurse sind in drei Kenntnislevels unterteilt und in ihrer Ausrichtung breit gefächert.
Es gibt das Female-Leadership-Lab und klassische Workshops, in denen es auch um so handfeste, die Zukunft mit der Gegenwart vertäuende Themen wie „Vorstellungen von Europa“ oder „Gemeinwohlökonomie“ geht. Margret Rasfeld, Schulleiterin der Evangelischen Schule Berlin Zentrum, veranstaltet Workshops über „Schulen im Aufbruch – Für eine neue Lernkultur im 21. Jahrhundert“.
In der kleineren Halle versorgen Streetfoodstände die Gäste mit liebevoll zubereitetem Essen. Kinder können Kindertanz, Kinderyoga oder Actionorigami machen, Geschichten anhören oder einfach nur in der Spielecke spielen und malen. Abends übernehmen Musiker und DJs wie Patrice, DJ Ipek oder der Baile-Funk-Pionier Daniel Haaksman.
Es ist ein schmaler Grat, aber am Eröffnungsnachmittag fügt sich das nicht zusammengehörend Erscheinende von Esoterik und Realität gut ineinander.
Forever Now Festival, bis 6. September, Neue Heimat, Programm unter www.forever-now-festival.com
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen