: Regeln für das richtige Essen
HALAL Vom Schokoriegel bis zur Tütensuppe – Lebensmittel, die nach den islamischen Halal-Regeln produziert werden, erobern nun auch den deutschen Markt
VON MICHAEL PÖPPL
Im deutschen Einzelhandel gehen die Umsätze zurück, auch hier ist die internationale Wirtschaftskrise zu spüren. Doch ein weitgehend unterschätztes Segment in Deutschland und auf dem globalen Markt wächst stetig weiter. Der Verkauf von Lebensmitteln, die den strengen muslimischen Regeln des „Halal“ erfüllen, boomt schon seit mehreren Jahren. „Halal“ auf Arabisch und „helal“ auf Türkisch bedeutet „das Zulässige“, „das Erlaubte“. Das Gebot für gläubige Muslime, sich im Leben richtig zu verhalten, gilt auch für die Nahrungsproduktion. Bei der Herstellung von Speisen sind strenge Regeln zu beachten. Laut islamischer Vorschrift darf nur rituell geschächtetes Fleisch verwendet werden, Schweinfleisch ist absolut tabu. „Reine Lebensmittel“ im Sinne der Sunna, die traditionelle Normen für Muslime festlegt, dürfen nicht einmal geringste Spuren von Schweinefleisch, Blut oder Alkohol enthalten. Diese strenge Kontrolle gilt auch für Zutaten bei der Lebensmittelproduktion wie Fette, Öle oder Gewürze.
Laut dem Londoner Time Magazine haben halal-zertifizierte Produkte im Jahr 2010 weltweit einen Umsatz von 651 Milliarden Dollar erzielt. Das bedeutet eine Steigerung von über 300 Prozent im Vergleich zum Jahr 2004, in dem in diesem speziellen Segment knapp 150 Milliarden umgesetzt wurden. Bereits heute entsprechen rund 17 Prozent der weltweiten Nahrungsmittelumsätze den strengen muslimischen Vorschriften, wie das World Halal Forum in Malaysia verlautet. Auch hierzulande wächst der Markt stetig, wie Ali Fanous von Halal Control, der unabhängigen europäischen Prüf- und Zertifizierungsstelle in Rüsselsheim, erklärt: „Im vergangenen Jahr hatten wir in Deutschland 16 Prozent mehr Wachstum bei allen Produkten. Allein unser Institut hatte 40 Prozent mehr Anfragen als im Vorjahr.“ Vier bis fünf Milliarden Euro Umsatz werden auf dem inländischen Markt mit Halal-Produkten erzielt, so seine Schätzung.
In Deutschland leben über drei Millionen Muslime, eine auch für die Lebensmittelbranche hochinteressante Zielgruppe. Und man findet die Halal-Produkte nicht mehr nur in kleinen türkischen oder arabischen Lebensmittelläden. Einige der großen Discounter haben inzwischen Produkte in ihre Sortimente aufgenommen, die den islamischen Speisevorschriften entsprechen. Bei Aldi Nord finden sich zum Beispiel Hähnchen der Marke „Bauernglück“ mit Halal-Zertifikat im Kühlregal, bei Rewe, Extra, Edeka und anderen Anbietern islamisch korrektes Geflügel von „Wiesenhof“.
Produkte wie Gummibärchen, Kit Kat, Maggi-Suppen oder Nescafé mit dem religiösen Unbedenklichkeitszertifikat findet man zunehmend auch in deutschen, österreichischen und Schweizer Supermärkten. Denn die großen Lebensmittelkonzerne wie Nestlé oder Dr. Oetker haben lange schon entdeckt, dass es einen Bedarf an Halal-Produkten gibt: Der Global Player Nestlé führt schon seit den 1980er Jahren Waren für Muslime im Sortiment, die zuerst nur in islamischen Ländern verkauft wurden. Von weltweit 456 Unternehmenstöchtern des Schweizer Konzernriesen sind mittlerweile 75 halal-zertifiziert, mit deren Produkten die Firma inzwischen mehr als mit Bioartikeln verdient.
Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist der Marktanteil der Halal-Lebensmittel in Deutschland immer noch gering. In den Großhandelsketten des französischen Anbieters Carrefour und beim britischen Einzelhandelsriesen Tesco finden sich mehrere Regalmeter von unbedenklichen Lebensmittel für Muslime. Die Auswahl ist enorm. Und auch im Fastfood-Bereich ist Halal bei den europäischen Nachbarn zum Verkaufsargument geworden. Die französische Kette Quick verkauft in acht Filialen seit kurzem Halal-Burger, in der Lyoner Dependance des Konzerns ist der Umsatz seitdem um 30 Prozent gestiegen. Auch McDonald’s hat im Londoner Southall, einem muslimisch geprägten Viertel, eine Filiale eröffnet, die zertifizierte Burger für Gläubige brät. Das erfolgreiche Testprojekt, das vor allem junge, hippe Muslime anzieht, hat vor zwei Jahren begonnen und wird vermutlich auf weitere britische Filialen ausgedehnt.
Gerade in einer Stadt wie Berlin, in der ein hoher Anteil muslimischer Bevölkerung lebt, wäre es sicher eines Tages denkbar, dass Global Player wie McDonald’s oder Burger King sich dieser Kundschaft verstärkt annehmen und halal-zertifiziertes Fastfood verkaufen. Noch kümmern sich in diesen Quartieren aber nur wenige kleine und mittelständische Restaurants und Imbisse um eine islamisch-korrekte Küche. Ein Lokal wie das arabische Baraka, das in Kreuzberg seit über einem Jahrzehnt halal kocht, ist auch im dortigen Kiez immer noch eine Ausnahme.
Die in Deutschland lebenden Muslime haben sich bisher noch nicht auf einheitliche Standards oder ein gemeinsames Prüfsiegel einigen können. Auch von Behördenseite gibt es dazu noch keine Vorgaben. Ein verwirrender Effekt, den man auch bei ökologischen Lebensmitteln kannte, bevor das Bio-Siegel eingeführt wurde. Entsprechend viele Variationen von Halal-Zertifikaten sind so auf dem Markt unterwegs. Zwar sind sich alle Hersteller einig, dass nur ein Muslim die Zertifizierung vornehmen kann, doch nicht alle Firmen, die Unbedenklichkeitsbescheinigungen ausstellen, sind wirklich zuverlässig.
Im Idealfall wird jede Firma, die das Halal-Siegel bekommen will, ausführlich beraten und regelmäßig überprüft. Auch ethische Kriterien können bei der Zertifizierung eine Rolle spielen. Hohe Ansprüche an die Rohstoffe, kontrollierte Verarbeitung und hohe ethische Standards: Solche Kriterien machen halal-zertifizierte Lebensmittel auch für nichtmuslimische Verbraucher interessant.