piwik no script img

Archiv-Artikel

Shoppen ohne Ende

Das Kürzel ECE ist in Stuttgart bestens bekannt. Das Hamburger Unternehmen baut schließlich im S-21-Areal A1 an der Heilbronner Straße derzeit den größten Konsumtempel der Stadt. Unser Autor hat sich das Unternehmen mal angeschaut, das sich selbst als „positiven Impulsgeber für Innenstädte“ bezeichnet

von Dietrich Heißenbüttel

Ende September 2012 dachten die Bürgermeister von Böblingen und Sindelfingen noch über eine Städtefusion nach. Zwei Monate später war Böbelfingen mausetot. Ohne Absprache mit den Nachbarkommunen hatte Sindelfingen dem Breuningerland eine Erweiterung seiner Verkaufsflächen um fast 10.000 Quadratmeter genehmigt. Böblingen protestierte: Sindelfingen ignoriere das gemeinsame Einzelhandelskonzept. Schließlich ist man in Böblingen selbst dabei, den Stadteingang neu zu gestalten: Gegenüber dem Bahnhof soll eine Shoppingmall mit einer Verkaufsfläche von 24.400 Quadratmetern entstehen. Kurz vor Weihnachten wies das Regierungspräsidium die Sindelfinger Pläne zurück.

Was das mit ECE zu tun hat? Ganz einfach: Zwar hat das Stuttgarter Nobelkaufhaus das Breuningerland Sindelfingen 1980 eröffnet, wie schon 1973 die namensgleiche Mall in Ludwigsburg. Auch unterhält Breuninger nach wie vor an beiden Standorten Filialen. Aber seit 1998 betreibt beide Einkaufszentren die ECE.

Was steckt hinter ECE? Zunächst einmal der größte europäische Entwickler und Betreiber innerstädtischer Shoppingcenter, der derzeit 185 Malls betreibt. „Einkaufs-Center Entwicklungsgesellschaft“ nennt sich das Unternehmen ausgeschrieben, das der Versandhausgründer Werner Otto 1965 ins Leben rief. „Attraktive Einkaufsgalerien“, behauptet das Unternehmen, „die sich durch eine hohe Qualität in Architektur, Management und Branchenmix auszeichnen, wirken immer als positive Impulsgeber für die Innenstädte.“ Darüber kann man trefflich streiten.

Großprojekte und internationale Expansion

Die ersten Center entstanden ab 1969 in Randlagen, immer gut an den Autoverkehr angebunden. Erst ab der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre verlegte sich ECE auf die Stadtzentren, weil einige der traditionellen Kaufhäuser aufgaben. Eine goldene Nase verdiente sich der Shoppingmall-Betreiber, als 1989 der Eiserne Vorhang fiel. Wieder konzentrierte sich ECE auf die Innenstädte. Auf Großprojekte wie den Leipziger Hauptbahnhof und den Potsdamer Platz in Berlin folgte die Expansion nach Polen, Ungarn, Tschechien, in die Türkei, nach Athen bis ins arabische Emirat Katar. Heute managt die ECE sechs Millionen Quadratmeter Verkaufsflächen in 16 Ländern und erwirtschaftet damit einen Umsatz von 19 Milliarden Euro.

Anders als Sindelfingen hat Ludwigsburg eine Vergrößerung seines Breuningerlandes bisher kategorisch abgelehnt. Dies hängt damit zusammen, dass sich mitten in der barocken Altstadt eine weitere Shoppingmall befindet: Das 1972 bis 1975 errichtete Marstall-Center gilt laut Wikipedia als „größte Bausünde Ludwigsburgs“. Ein Abriss kommt allerdings nicht infrage, weil sich über dem Einkaufszentrum bis zur 15. Etage Eigentumswohnungen türmen, mit herrlichem Blick auf das historische Stadtzentrum. Als ECE Interesse am Marstall-Center anmeldete, waren daher alle Beteiligten erleichtert. Einziger Wermutstropfen: ECE braucht Saturn als Ankermieter. Der Elektronik-Supermarkt wird aus dem Ludwigsburger Bahnhof ausziehen.

Denn so funktioniert das Geschäft: ECE analysiert, wie viele Käufer das Shoppingcenter in 5, 15 oder 30 Minuten erreichen und wie viel Kaufkraft sie mitbringen. Zuerst wird als Magnet ein Ankermieter gesucht, der die Kundschaft ins Haus zieht, besser noch zwei, an gegenüberliegenden Enden des Zentrums. Wichtig sind auch Lebensmittel – die werden immer benötigt – und Parkplätze. Denn auch wenn sich die Mall an einer U-Bahn-Station befindet: Das wichtigste Argument, alles an einem Ort einzukaufen, bleibt die Nähe zum eigenen Kofferraum.

Optimal für die ECE ist ein Standort wie der in Leonberg: 1973 als erstes ECE-Einkaufszentrum im Südwesten Deutschlands errichtet, befindet sich das Leo-Center genau in der Mitte zwischen den alten Ortskernen von Leonberg und Eltingen, keine fünf Minuten vom Autobahndreieck entfernt. Das Leo-Center ist seit vierzig Jahren ein bombensicheres Geschäft.

Seit den 70er-Jahren regt sich Widerstand gegen die Shoppingmalls auf der grünen Wiese, die Kaufkraft aus den Innenstädten abziehen und damit die Städte um Steuereinnahmen bringen. Krebsgeschwürartig breiteten sich damals Eigenheimsiedlungen, Industriegebiete und Einkaufsmeilen in der Landschaft aus, die Stadtzentren drohten zu verkommen. 1987 sprachen die Soziologen Hartmut Häußermann und Walter Siebel erstmals von einer „Renaissance der Innenstädte“. Heute lässt sich kaum ein Politiker die Chance entgehen, Innen- statt Außenentwicklung zu propagieren.

Auch die ECE bezeichnet es als ihre „Zielsetzung, die Innenstädte zu stärken, ihren Charme zu erhalten, dem Abwandern in konkurrierende Verdichtungsräume entgegenzuwirken und die Kaufkraft zu binden“. Was das Unternehmen verschweigt: Seit Mitte der 1990er-Jahre werden Shoppingmalls in Deutschland ohnehin fast nur noch in Innenstädten und Stadtteilzentren genehmigt.

Süddeutschlands größte Shoppingmall mit 33.000 Quadratmeter Verkaufsfläche steht am Ettlinger Tor in Karlsruhe, hält sich an den Rahmen des historischen Stadtrasters und bezieht sogar einen denkmalgeschützten Bau mit ein. Anders wäre sie wohl kaum genehmigt worden. Wirkt die Mall aber tatsächlich als „Impulsgeber für die Innenstädte“? In Karlsruhe ist der Verkehrswert innerstädtischer Handelsimmobilien seit der Eröffnung um mehr als 30 Prozent zurückgegangen. Dies stellt ein Forschungsprojekt der Hamburger Universität zu den „Auswirkungen innerstädtischer Shoppingcenter auf die gewachsenen Strukturen der Zentren“ fest.

Malls vernichten die traditionellen Geschäfte

Karlsruhe ist ein besonders krasser Fall, in anderen Städten verloren die Handelsimmobilien nur 20 Prozent ihres Werts. „Da das Mietniveau gleichzeitig die Umsatzchancen einer Einkaufslage widerspiegelt“, schreibt die Ökonomin Monika Walther, „ist von entsprechend hohen Umsatzverteilungen infolge der Center-Ansiedlungen auszugehen.“ Übersetzt heißt das: die Mall nimmt den traditionellen Geschäften die Kundschaft weg. Insbesondere in kleineren Städten kommt es zu Leerständen. Imbissbuden und Ein-Euro-Läden ziehen nach. Dies bedroht letztlich die historische Substanz.

So kann kaum verwundern, dass sich beim Bau neuer Malls immer wieder Protest rührt. In Heilbronn etwa wurden gegen das 2006 bis 2008 erbaute Einkaufszentrum Stadtgalerie 10.000 Unterschriften gesammelt – eine hohe Zahl, wenn man bedenkt, dass nur rund 95.000 Wahlberechtigte in der Stadt leben. In Koblenz, nicht größer als Heilbronn, sammelte eine Initiative gar 20.000 Stimmen. Den Bau des „Forums Mittelrhein“ am Zentralplatz, das im Herbst 2012 eröffnete, konnte die „Bürgerinitiative Zukunft“ zwar nicht verhindern. Sie zog jedoch 2009 mit zehn Prozent der abgegebenen Stimmen als drittstärkste Fraktion in den Gemeinderat ein. (Textsperrung).

Weniger kulturaffin zeigte sich das Unternehmen in Reutlingen. Dort befindet sich in einem Fabrikgebäude in Bahnhofsnähe seit 1989 die Stiftung für konkrete Kunst. Als die Siebtuchfabrik Christian Wandel auszog, förderte das Land die Instandsetzung des Gebäudes und die einzigartige Sammlung des Fabrikerben Manfred Wandel. Heute sind dort auch der Kunstverein und die Städtische Galerie untergebracht. ECE plante 2007, den Bau abzureißen, um dort ein 23.000 Quadratmeter großes Shoppingcenter zu errichten. Die Kultureinrichtungen waren nicht informiert worden, der Einzelhandel in der Reutlinger Altstadt war wenig erfreut. Auch wenn der Investor ein Kulturforum an anderer Stelle in Aussicht stellte, erteilte der Gemeinderat dem Ansinnen im April 2010 einstimmig eine Absage.

Baukultur und Bewahrung sind notwendig

„Die Zeit überdimensionierter Einkaufszentren und großer Verkehrsflächen ist vorbei“, schreibt das Bundesverkehrsministerium in seinen Hintergrundinformationen zur „Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“. In der Charta einigten sich die zuständigen Minister der EU-Mitgliedsländer 2007 auf den folgenden Wortlaut: „Baukultur ist eine Notwendigkeit für die Stadt als Ganzes und deren Umgebung. Die Städte und der Staat müssen hier ihren Einfluss geltend machen. Dies gilt insbesondere für die Bewahrung des baukulturellen Erbes. Historische Gebäude, öffentliche Räume und deren städtische und architektonische Werte müssen erhalten bleiben.“

Wie weit diese wohlklingenden Formulierungen von der Realität entfernt sind, lässt sich derzeit an vielen Orten beobachten. „Schluss mit klotzig! Warum viele deutsche Städte in Hässlichkeit versinken“, titelt Hanno Rauterberg 2011 in der Zeit und will nicht so recht glauben, dass Hamburg städtebaulich genauso hoffnungslos verloren und architektonisch zerrüttet sei „wie Köln oder Stuttgart“.

Gerade in Stuttgart läuft es für ECE derzeit nicht so blendend. 2010 geriet das Unternehmen in die Kritik, weil in den Gremien der Firmenstiftung Lebendige Stadt, einer hundertprozentigen Tochter des Unternehmens, neben vielen weiteren hochrangigen Politikern maßgebliche Befürworter des Bahnprojekts Stuttgart 21 saßen. Der damalige Ministerpräsident Günther Oettinger, der 2005 zur Eröffnung des ECE-Zentrums Ettlinger Tor nach Karlsruhe gekommen war, ist seit 2008 mit Friederike Beyer liiert, die zum Stiftungsvorstand gehört. Bahnhofsarchitekt Christoph Ingenhoven, Stuttgarts Ex-OB Wolfgang Schuster und die frühere Ministerin Tanja Gönner haben sich mittlerweile aus dem Stiftungsrat zurückgezogen, „um jeglichen Anschein eines Interessenkonflikts zu vermeiden.“ Wolfgang Tiefensee, bis 2009 Bundesverkehrsminister, ist bis heute stellvertretender Vorsitzender des Kuratoriums.

Alexander Otto wehrt sich gegen die Kritik. Dabei ist er selbst zugleich Vorstandsvorsitzender des Konzerns und Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung. Eine „klare Trennung“ – um die sich die Stiftung angeblich bemüht – sieht anders aus.

Auf dem früheren Güterbahnhofsgelände an der Heilbronner Straße ist seit 1997 eine Shoppingmall geplant. Doch der Investor, der zuerst den Zuschlag erhielt, konnte nicht einmal den Grundstückspreis zahlen. ECE hatte bereits 2004 Interesse angemeldet, doch erst 2008 kamen die Gespräche in Gang, als eine erneute europaweite Ausschreibung ohne Ergebnis blieb – just zur selben Zeit also, als der damalige Ministerpräsident seine neue Lebensgefährtin präsentierte. Ursprünglich wollte ECE 47.500 Quadratmeter Verkaufsflächen, dagegen liefen die Einzelhändler in der Königstraße Sturm – sogar der Stuttgarter Citymanager Hans Pfeifer, sonst kein Kind von Traurigkeit und ein glühender Befürworter von Stuttgart 21. Mitte 2011 war der Vertrag dann unterschrieben, abgespeckt auf 43.000 Quadratmeter, mit 415 Wohnungen, einem Hotel mit 160 Zimmern und 7.400 Quadratmeter Büroflächen. Im Oktober 2011 wurde das Kind auf den Namen Milaneo getauft, bis 2015 soll es fertiggestellt sein.

Das Milaneo ist nicht das erste ECE-Projekt in Stuttgart. Bei den Königsbau-Passagen, 2006 mitten im Zentrum der Stadt eröffnet, schien eigentlich nichts schiefgehen zu können. Die gerade erst frisch renovierte Hauptpost war kurzerhand abgerissen worden, um der Mall Platz zu machen. In der Presse war zumeist nur vom Stilwerk die Rede, mit Designermöbeln und nobler Innenausstattung in der dritten und vierten Etage. Doch schon nach drei Jahren drohten die ersten Mieter mit Auszug. Eine Modelleisenbahnanlage sollte Besucher nach oben locken. Derzeit wird umgebaut, mehr Gastronomie soll die oberen Etagen füllen. In der Zwischenzeit hat „Stuttgarts erstes Einrichtungshaus“ Schildknecht im 184. Jahr seines Bestehens Insolvenz angemeldet.

Dies ist nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird. Wenn das „Gerber“ an der Paulinenbrücke und das Milaneo mit zusammen 67.000 Quadratmeter Verkaufsfläche einmal fertiggestellt sind, wird für eigentümergeführte Geschäfte die Luft dünn im Talkessel. „Über 200 Geschäfte direkt vor der Haustür“, wirbt das Milaneo für „ein neues, lebendiges Stadtquartier im Herzen Stuttgarts“. Die Mehrzahl der Käufer – mit Zehntausenden ist täglich zu rechnen – dürfte von auswärts kommen. 1.680 Parkplätze sind geplant, auf der Heilbronner Straße kann es eng werden.

Ganz so sicher scheint sich die ECE ihres Erfolgs indes nicht zu sein. Jedenfalls hat das Unternehmen im vergangenen Juli 78 Prozent des Objekts an den Hamburg Trust verkauft, einen geschlossenen Immobilienfonds. Anleger finden sich immer, zumal bei einem so aussichtsreichen Projekt wie einem Einkaufstempel in einer der wohlhabendsten Städte des Landes.