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Im Anwohnerpark

MANJA PRÄKELS

Teil 1: Hildchen hört hin

Der Sommer war über die Stadt gekommen wie ein zottiger, alter Bär. Er stank. Er erstickte jeden Stängel Grünes, das unter der Asphaltdecke hervorzukriechen versuchte. Ja, er verwandelte die verdutzten Bewohner der Straße mit seiner Naturgewalt in ein einziges, schwitzendes Schlurfwesen. Die Wirtin bog ächzend in die Hauseinfahrt, stieg von ihrem Fahrrad, lehnte es an den Stamm des Haselnussbäumchens, schlurfte zur Kneipentür, schloss auf und trat ins Dunkle. Hilde hörte hin: „Chrrrrroooh … chrrrrooaaaaach.“

Sie folgte dem Geräusch auf Zehenspitzen in den hinteren Gastraum. Sprottenpeter lag platt wie eine Flunder, umgeben von Asche, zerdrückten Filtern und aufgeweichten Bierdeckeln auf dem Fußboden neben der Couch. Hildegard wollte sich gar nicht vorstellen, wie es dazu gekommen war. Es roch nach Käsefüßen und Bull Brand. Im Winter hatte sie Peter ein ums andere Mal erlaubt, „ausnahmsweise“ im Blaulicht zu übernachten. Peters Behausung, ein zerbeulter VW Passat, eignete sich nicht zum Winterquartier. Aber jetzt, in dieser Bärenhitze, da konnte er doch auch im Park schlafen! „Ähhh …“ Hildegard erschrak. Sie hatte vergessen, die Tür wieder hinter sich abzuschließen. Zwei Touristinnen standen im vorderen Gastraum. Ihre bunten Kleider und der geblümte Hut der Kleineren schienen im Kneipendämmerlicht zu leuchten. „Die Tür stand offen.“

Hildegard konnte nicht begreifen, wie sich solche Vögel immer wieder in ihre dunkle Höhle verirrten. Wenn sie besoffen waren, ja, aber mitten am Tage und bei der Dichte an umliegenden Cafés und Restaurants erschien ihr diese Wahl orientierungslos und dämlich. Mit ausgebreiteten Armen schritt sie am Tresen entlang, auf die beiden unliebsamen Gäste zu. „Wir ham noch jeschlossen.“ Die mit dem Hut zog sofort den Kopf ein, während die andere ihre Hände trotzig in die knochigen Hüften stemmte. „Wir wollen doch nur …“, flüsterte die Blumenfrau. Ihre Begleiterin vollendete den Satz mit der Stimme eines großen, missgelaunten Vogels: „ …nur einen Eiskaffee trinken. Es ist ent-setz-lich heiß.“ Entsetzlich. Die Wirtin schaute sich zu Sprottenpeter um, aber der berauschte Seepirat war weit genug hinausgeschwommen, um das Krähen der Touristin nur als einen ersten Boten wahrzunehmen: Irgendwo, dort am fernen Horizont, wäre Land. Lohn. Durst. Hildegard blaffte zurück: „Muss erst sauber machen. Jehnse doch nach nebenan.“

Die Kleine war bereits nach draußen gehüpft und blickte mit gerecktem Hals um sich, wie ein Huhn. Die andere musterte die Wirtin abfällig, bevor sie auf dem Absatz kehrtmachte. „Na dann!“ Wahrscheinlich meckerten die jetzt den Rest des Tages über die Berliner Unfreundlichkeit. Gickernd hob Hildegard die Stühle von den Tischen, wischte, spülte, polierte und befand, dass es schon langweiligere Frühschichten gegeben habe. Mädchenschicht. Das sagte Lale immer. „Mädchenschicht is mir zu doof.“ Die sollte mal in ihr Alter kommen. Sie schaute auf die Uhr und beschloss, ihrem schnarchenden Gast noch etwas Zeit auf hoher See zu gönnen. Da hinten hockte sich erfahrungsgemäß erst spät abends einer hin. Hildegard öffnete ihren Laden, das Blaulicht, indem sie schwungvoll die Tür aufstieß und mit geübter Geste den kleinen Holzkeil nachschob, damit etwas Frischluft in die Höhle strömen könnte. Dann trat sie aufs Trottoir und zündete sich eine Zigarette an.„Tach schön.“

Die Inhaberin des Bioladens nebenan nickte flüchtig. Sie hatte zu tun. Die beiden Damen, die sich vor ihr Geschäft gesetzt hatten, beanstandeten dies und jenes, rührten geräuschvoll in ihren Teeschalen herum und kramten andauernd Dinge aus Taschen hervor, die sie einander vor die Nasen hielten. Nun sollte sie den Schirm anders ausrichten, damit die beiden besser vor der Sonne geschützt seien: „Aber kom-plett!“ Anne setzte ihr „Der Gast ist König“-Gesicht auf. Sie war schon seit dem frühen Morgen auf den Beinen, hatte ihre Töchter zur Schule gebracht, den Laden geöffnet, die Tagessuppe gekocht und Ware entgegengenommen. „Der Schirm ist leider fest montiert.“

Foto: Nane Diehl

Manja Präkels wurde 1974 in Zehdenick/Mark geboren. Sie schreibt, singt, organisiert Feste und tourt bundesweit mit ihrer Band „Der Singende Tresen“. Soeben erschien die von ihr mit Markus Liske herausgegebene Textsammlung „Vorsicht Volk!“. Seit 2009 betreiben die beiden die Gedankenmanufaktur WORT & TON. Ihr Romandebüt „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ erscheint 2016, ebenfalls im Verbrecher Verlag.

Hildchen empfand zum ersten Mal, seit sie Nachbarinnen waren, so etwas wie Sympathie für Anne. Papperlapapp. Blöde Biotussi. Sie schnipste ihren Zigarettenstummel auf die Straße. Eine Radfahrerin, die von dem glühenden Geschoss nur knapp verfehlt worden war, schimpfte ihr hinterher. Die Wirtin aber schritt gut gelaunt durch den Gastraum und trat den am Boden liegenden Seemann in den Hintern.„Durst!“Peter war wach.

Die beiden Welten, die hier, nordöstlich des Fernsehturms, mit Tischen und Stühlen, aufeinanderprallten, ergänzten sich auf merkwürdige Weise. Linkerhand, in Hildegards Reich, trafen sich bei Einbruch der Dämmerung die Prediger und Predigerinnen des „Nicht mehr“, der Trunklust und des Tabakbeutels. Menschen des „Noch nicht“ bevorzugten die Tische des Bioladens nebenan, wo sich Anne mühte, zwischen Kinderlachen und Milcheispfützen, Club-Mate und Weißwein, den Ansprüchen gerecht zu werden.

Die Hitze ließ einfach nicht nach. Selbst die Spatzen saßen schweigsam im Geäst, lustlos, flügellahm. Hildegard schob ihren Ehrengast vor die Tür. „Ick empfehl dir zu duschen, sonst erschrickste noch die Touristen.“ In dem Moment, als Anne den Damen ihre Rechnung präsentierte, sprang die mit dem Hut fiepsend auf. „Peter!“ Der Seebär betrachtete die Frau mit zusammengekniffenen Augen, klopfte sich den Staub von den Kleidern, zupfte noch eine Kippe aus dem zer­zausten Haar und rief zurück: „Marianne, wat mekst du denn hier!“ Hildegard konnte es nicht fassen.

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