: Schauen und Sammeln
KUNST Die Art Berlin Contemporary, Höhepunkt der am Dienstag beginnenden Art Week, schärft ihr Profil. Die Unterschiede zu klassischen Verkaufsausstellungen heben die Macher jedoch weiterhin hervor
von Beate Scheder
Ist es nun eine Messe oder ist es keine? Die ART BERLIN CONTEMPORARY, kurz abc, macht es denjenigen, die sie beschreiben wollen, nicht ganz leicht. Vom 17. bis 20. September lädt sie wieder in die Ausstellungshallen am Gleisdreieck. 100 Einzelpositionen zeitgenössischer Kunst von lokalen, nationalen und internationalen Galerien – neu dabei sind etwa die chinesischen Galerien Magician aus Beijing und Antenna aus Schanghai – werden dann dort ausgestellt und bestenfalls auch veräußert. Es ist der Höhepunkt der Berlin Art Week, eine Verkaufsschau, die Sammler von nah und fern und solche, die es noch werden wollen, anlocken soll. Dennoch: Das M-Wort nahmen die Galeristen, die die abc 2008 gegründet hatten, jahrelang nicht in den Mund. Stattdessen zelebrierte man selbstbewusst Einzigartigkeit und bezeichnete sich lieber als ein kuratiertes Ausstellungsformat.
Maike Cruse, die seit 2013 Direktorin der abc ist, sieht das pragmatisch. „Oft werden wir als Messe beschrieben und das ist auch in Ordnung“, sagt sie. Sie definierten sich selbst nur anders, um ihre Unterschiede zu einer solchen zu unterstreichen und flexibel in der Weiterentwicklung der abc zu bleiben. Cruse weiß, wovon sie spricht: Bevor sie nach Berlin wechselte, um zunächst das Gallery Weekend und dann auch die abc zu leiten, war sie unter anderem Pressesprecherin der „Art Basel“.
Klar: Berlin gilt vielleicht als die Stadt der spannendsten Künstler und Kunstorte, mit dem Markt hapert es aber nach wie vor. Viele Galerien kämpfen ums Überleben. Zudem widerspricht das knallharte Business dem Image der lokalen Kunstszene, die zu gerne mit experimentellem Projektraumcharme und freiem Künstlertum kokettiert. „Berlin funktioniert ganz anders im Vergleich zu Galeriestandorten in sehr teuren Städten wie New York oder London“, erklärt Cruse. Deswegen konnten sich hier zwei sehr künstlerzentrierte Veranstaltungen etablieren, die von Galerien bespielt werden, die an einem nachhaltigen Kunstmarkt interessiert sind und sich vor allem auf Ausstellungen und Inhalte konzentrieren.
Dennoch wird man den Eindruck nicht los, dass sich die abc in diesem Jahr von ihrem selbstauferlegten Korsett der Alternativität zumindest ein wenig lösen möchte. Damals, 2008, als sie zum ersten Mal stattfand, war sie noch als Foto-Text * Rezensioneine Ergänzung des ART FORUMS gedacht, aber auch als dessen zeitgemäßeres Gegenmodell: initiiert von einer Gruppe einflussreicher Galerien, kunst- beziehungsweise künstlerzentriert und mit einem Oberthema. Die Premiere ging mit 75 Positionen zu Skulptur, Installation und projizierten Bildern über die Bühne. Es folgten Ausgaben zu Kunst im öffentlichen Raum, zum Filmischen und Performativen und schließlich zur Malerei. Im Jahr 2011 scheiterten Bemühungen, die abc, mit dem danach aufgelösten Art Forum zu fusionieren. Seitdem wächst und entwickelt sich das Format: Zunächst löste man sich von den kuratorischen Vorgaben. Seit 2012 können die Galerien in jedem Jahr frei wählen, welchen ihrer Galeriekünstler sie präsentieren. Jedoch nur einen. Der Künstler soll im Vordergrund stehen, nicht das Programm der Galerie.
Selbst das lässt sich in diesem Jahr mit dem nötigen Kleingeld teilweise umgehen. Wer einen ganzen Raum von 100 Quadratmetern mietet, kann bis zu vier Künstler zeigen. Möglich macht das die neue Messearchitektur, entworfen vom Berliner Büro June 14. Im Gegensatz zum vorherigen, überaus flexiblen Konzept Manuel Raeders geben Johanna Meyer-Grohbrügge und Sam Chermayeff von June 14 der Veranstaltung nun auch optisch mehr Struktur. Gemietet werden können Ecken kreuzförmiger Architekturelemente im Raum, einzelne, zwei nebeneinander oder gegenüberliegende oder eben vier, also den ganzen Raum dazwischen. „Wir wollten die Hallen räumlicher fassen, mehr Architektur hineinbringen“, sagt Meyer-Grohbrügge. „Die Stände sollten nicht mehr wie freie Objekte im Raum stehen und so fast selbst wie ein Teil der Kunstwerke frei verteilt werden, sondern für ein bisschen mehr Struktur sorgen.“ Das Ergebnis ist ein durch die Ecken bestimmtes Raster, das noch keine klassische Kojenarchitektur ist, jedoch definitiv daran erinnert.
Noch zwei weitere Neuerungen belegen die kleinen Schritte, mit der sich abc der klassischeren Konkurrenz annähert: Erstmals konnte man sich für die Teilnahme als Galerie selbst bewerben und musste nicht auf eine Einladung hoffen. Außerdem gibt es eine von Nikola Dietrich kuratierte Gruppenausstellung, bestückt aus Berliner Privatsammlungen. Die zeigt dann nicht nur, welche Schätze dort meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit lagern, sondern soll die Sammlerszene stärker an den lokalen Kunstmarkt binden. Experimentell bleiben will die abc trotzdem, dafür sorgt schon allein die Kunst: Freuen kann man sich unter anderem auf bespielbare Tischtennisplatten von Rirkrit Tiravanija und ein Teehaus von Marinella Senatore.
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