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Solo-Orchester

MUSIKKlassisch ausgebildet, dem Jazz und der Improvisation zugewandt: Els Vandeweyer geht mit unkonventionellen Mitteln ans Vibrafon – was der Belgierin in Berlin geradezu orchestrale Möglichkeiten im intimen Spiel mit ihrem Lieblingsinstrument eröffnet

von Franziska Buhre

Die meisten MusikerInnen müssen nicht darüber nachdenken, wie sie ihr Instrument befördern, wenn sie spontan Lust haben, irgendwo in der Stadt bei einer Jamsession einzusteigen. Für Blasinstrumente und Schlagzeugbecken gibt es unzählige Varianten an Taschen, KontrabassistInnen kommen mit ihrem Instrument auf Rollen überallhin. Aber ein Vibrafon? Das Schlaginstrument hat zwar auch Rollen, die mehr als drei Dutzend Platten mit je einer Resonanzröhre aus Metall machen den Einpersonentransport aber zu einer wirklichen Kraftanstrengung.

Els Vandeweyer ist mit ihrem Instrument durch ganz Zentral­europa gereist – in Zügen. Was eben auch zeigt, wie ernst es ihr mit ihrer konsequenten Entscheidung für das Vibrafon ist. Aufgewachsen ist die heute 33-Jährige im Dorf Schaffen bei Diest in der belgischen Provinz Flämisch-Brabant. Mit sechs Jahren beginnt sie zu trommeln, zum Nikolaus zwei Jahre später bekommt sie ihr erstes Vibrafon geschenkt. Ihr älterer Bruder, der Trompete spielt, hat ihr davon vorgeschwärmt. Abgesehen von den Miles-Davis-Platten, die er hört, kommt Els als Kind und Jugendliche aber nicht weiter mit Jazz in Berührung.

Das erste Stück, das sie auf dem Vibrafon spielt, ist das rockig rollende „Peter Gunn Theme“ des Filmkomponisten Henry Mancini. Nach zehn Jahren Ausbildung an der Musikschule und Mitwirkung in diversen Ensembles ihres Heimatorts möchte sie ein Studium für Vibrafon in Antwerpen aufnehmen. Das aber gibt es nicht, Vandeweyer muss, umfassender, klassisches Schlagwerk für Orchester lernen.

„Das war frustrierend, denn die ganze Orchesterliteratur hat mich gar nicht interessiert“, erzählt sie im Gespräch. „In ganz Belgien haben nur sehr wenige SchlagwerkerInnen Aussicht auf einen Platz in einem Orchester, und die Konkurrenz ist groß. Das wollte ich nicht, aber es war sehr schwierig, sich so früh zu spezialisieren.“

Bei einem Kurs in den Niederlanden spielt sie zum ersten Mal Jazz und wird ermutigt, weiter ihren Weg zu gehen. In Brüssel besteht sie sowohl die Aufnahmeprüfung für Klassik als auch jene für Jazz. Sie ist die erste der MusikstudentInnen, die in Brüssel Vibrafon studiert, nach einem Jahr entscheidet sie sich auch ganz für den Jazz und streckt ihre Schlägel dabei bis nach Portugal aus. Im Plattenladen des unter Enthusiasten für avantgardistischen Jazz und zeitgenössische Improvisationsmusik hoch angesehenen Labels Clean Feed in Lissabon darf Vandeweyer monatelang den Proberaum nutzen, mit lokalen MusikerInnen nimmt sie ein Album auf.

Weil sie in Brüssel zuvor schon norwegische MusikerInnen kennengelernt hat, zieht es sie bald darauf an die Musik­hochschule nach Oslo. Dort fängt sie an zu komponieren. „In Zentraleuropa wird die eigene Stimme viel zu wenig unterstützt, in Norwegen dagegen habe ich mich viel respektierter gefühlt“, meint Vandeweyer.

In Oslo widmet sie sich vermehrt dem Parameter Klang und legt zum ersten Mal Objekte auf ihr Instrument: „Für die erste Komposition habe ich viel ausprobiert, mit Flaschendeckeln, Getränkedosen oder Glaskugeln. Plastik, Metall und Glas funktionieren gut.“

In Berlin, wo sie seit 2009 lebt, kommen noch Ketten aus Metall und Plastikperlen hinzu, die in ihren Händen über die Metallplatten rauschen. Und das Spiel mit den vier Schlägeln in den beiden Händen ist ihr nicht genug, weshalb sie eigene spezielle mit Glaskugeln oder Metalkappen versehene Handschuhe entwickelt.

„Ich habe oft mit dem Pianisten Fred Van Hove gespielt und kam mir limitiert vor, weil er so tolle Sachen machte. Mit den Handschuhen kann ich das Vibrafon wie ein Klavier spielen. Ich wollte verschiedene Klänge gleichzeitig erzeugen oder sehr unterschiedlich zwischen ihnen abwechseln. Manchmal hat man eben einen Klang im Kopf und denkt: Wie soll ich den jetzt erreichen?“

„Wenn jemand mit seiner Gitarre tanzen kann, warum darf ich dann nicht tanzen?“

Els Vandeweyer

Els Vandeweyer begreift das Vibraphon nicht nur als Schlag­instrument mit melodiösen Qualitäten. „Man kann Melodien spielen, Rhythmus, Harmonien – das Potenzial ist super. Wenn man das noch anreichert mit anderen Klängen, ist das für mich eigentlich mein Orchester, das ich versuche zu arrangieren.“

In Berlin sind ihre Solokonzerte seit 2012 gefragt, mit eigener Musik und dazu auch Werken der „klassischen“ Schlagwerkliteratur. So spielte Vandeweyer beim „A L’Arme“-Festival 2013 eine Komposition von Iannis Xenakis für Solo­schlagwerk.

Ihre Klangexpertise und exzellente Technik paart sich bei ihren Auftritten mit der Lust an Bewegung: „Ich lebe mich einfach aus auf der Bühne, und die Bewegung gehört dazu. Sie bringt ja auch einen Teil des Schwungs mit, und ich spiele keine klassische Musik. Wenn jemand mit seiner Gitarre tanzen kann, warum darf ich dann nicht tanzen?“

Für ein Stück bei ihrem Konzert heute am Samstag in der Galerie Kungerkiez wird Els Vandeweyer wahrscheinlich mit ihren Handschuhen über die Metallplatten tanzen. Zum Auftrittsort hat sie es übrigens nicht weit – sie wohnt gleich in der Nachbarschaft.

Els Vandeweyer solo, Samstag um 17.15 Uhr in der Galerie Kungerkiez, Karl-Kunger-Straße 15, im Rahmen des 3. Alt-Treptower Baumscheibenfests

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