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Archiv-Artikel

„Die SPD in NRW wirkte einfach alt und verbraucht“

Marc Herter, Vorstandsmitglied der NRW-SPD und Andrea-Nahles-Unterstützer, über den umstrittenen Abgang des Bundesvorsitzenden Franz Müntefering, die Fehlkalkulationen der sozialdemokratischen Linken und die überfällige Analyse des dramatischen Machtverlusts vom 22. Mai

taz: Die NRW-SPD wollte morgen über ihre Zukunft reden. Wird statt dessen nun über den Münte-Schock gestritten?Marc Herter: Ein klares Nein! Wir werden uns mit der Zukunft von NRW beschäftigen und mit den Zukunftschancen der hier lebenden Menschen.

Sie hatten sich mit anderen SPDlern für Andrea Nahles als Generalsekretärin ausgesprochen. Jetzt ist Müntefering weg und Nahles wird auch nichts. Haben Sie sich verkalkuliert?Das mit den Kalkulationen ist so eine Sache. Zunächst einmal haben sich ja die verkalkuliert, die geglaubt haben, eine Mehrheit für Frau Nahles durch Drohung zwingen zu können, für Herrn Wasserhövel zu stimmen. Ich stehe zu meiner Unterstützung für Andrea Nahles, denn an ihrer persönlichen Eignung kann sich ja seit Montag kaum etwas verändert haben. Was sicherlich richtig ist: man hätte früher – und dabei meine ich die Protagonisten in Berlin – miteinander reden und eine Klärung herbei führen müssen. Das kann aber nicht nur für die Nahles-Unterstützer gelten, sondern das müssen auch Müntefering und die Seinen für sich annehmen.

Intern wird nun Landeschef Jochen Dieckmann kritisiert?So intern finde ich das gar nicht, wenn sein Vize Karsten Rudolph meint, den Landesverband über die Rheinische Post disziplinieren zu müssen. Der Weg ist grundfalsch und meines Erachtens nach eher Teil des Problems als deren Lösung. Nicht Disziplin und Gehorsam scheinen mir die Attribute zu sein, die mehr Raum in unseren inhaltlichen und auch personellen Debatten finden müssen, sondern mehr Offenheit und mehr produktive Diskussion darüber, was das Beste für die Sozialdemokratie und für das Land ist. An Jochen Dieckmann schätze ich gerade seinen integrativen Führungsstil.

Die NRW-SPD beredet in Oberhausen auch die Ursachen der Wahlpleite. Wer trägt die Verantwortung für den 22. Mai?Verantwortung trägt die NRW-SPD als Ganzes, weil sie nicht in der Lage war, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Es wäre einfach, drei Namen aufzuzählen und zu sagen: Die waren‘s. Das bringt uns nicht weiter.

Was bringt die SPD weiter?Entscheidend ist, dass wir jetzt offen über die falsche Strategie, nach 39 Jahren nicht mehr zu bieten gehabt zu haben als ein „Weiter so“, diskutieren.

War die SPD einfach reif?Die NRW-SPD wirkte einfach alt und verbraucht und ein Blick in die einzelnen Wahlbezirke zeigt: Wir haben ganz bestimmte Zielgruppen verloren. Hier liegt der Ansatzpunkt für neue Erfolge viel eher als in einer nachkartenden Diskussion über Köpfe.

Wegen des guten Resultats bei der Bundestagswahl sehen einige Genossen im Ruhrgebiet den 22. Mai als Betriebsunfall.Die eine oder andere Aussage innerhalb der NRW-SPD kann man so werten – gerade im Ruhrgebiet. Da verleiten Ergebnisse, die immer noch über 50 Prozent liegen, manchen dazu. Ich kann nur davor warnen, sich etwas vorzumachen. Die NRW-SPD wird keine Gelegenheit haben, im Schlafwagen zurück an die Macht zu tuckern. Es geht in den nächsten fünf Jahren um die strukturelle Mehrheitsfähigkeit der NRW-SPD im Lande: Schafft sie es, den gesellschaftlichen Strukturwandel zu verarbeiten und positiv in eine politische Vision von NRW, wie es sich 2015 oder 2020 darstellen soll, umzumünzen?

INTERVIEW: MARTIN TEIGELER