Das Unheil hinter dem Vorhang

TANZTHEATER Wie aus dem spanischen Mittelalter: das Stück „Voronia“ in der Schaubühne beim Festival „Tanz im August“

Vor einem Jahr gehörten der Choreograf Marcos Morau und seine Compagnie La Veronal zu den großen Entdeckungen auf dem Festival „Tanz im August“. Das Ensemble aus Barcelona siedelte sein vor visuellen Einfällen übersprudelndes Stück „Sie­na“ im Setting eines Museums an, das Deuten von Bildern, das Überschreiben von Bedeutungen, der Streit um Deutungshoheit, auf den zu hörende und zu lesende Texte anspielten, boten einen interessanten Bezugsrahmen für die tänzerischen Szenen. Deshalb freuten sich viele, dass das Festival die Spanier wieder eingeladen hatte und ihr neues Stück „Voronia“ koproduzierte. Aber so kann’s gehen mit hochgenährten Erwartungen – die neue Produktion, die bis Samstag in der Schaubühne gastiert, reicht längst nicht an den visuellen Witz und die intellektuell herausfordernden Verspieltheiten von „Siena“ heran.

Dabei hat Marcos Morau eine starke und wiedererkennbare Handschrift. Die tänzerischen Figuren sind stark stilisiert, ein skurriles Typenkabinett, das in Kleidung und Bewegung viel aus der spanischen Kultur zitiert, aus dem Stierkampf, Flamenco und aus höfischen Gemälden. In Solos, Duetten und Trios sorgen die TänzerInnen oft für ein Bestaunen ihrer Beweglichkeit, wie sie die Glieder biegen und verflechten, sich verknoten und wieder herausfinden. Allein, dies wirkt oft wie ein dekoratives Beiwerk zu den szenischen Elementen und den düsteren, geflüsterten Texten, die aus göttlicher Verdammnis und biblischer Apokalypse zitieren.

Ein großer Vorhang beherrscht das Bühnenbild, auf den oft ein kleiner Junge voller Erwartung zutritt und nach und nach auch die anderen Frauen und Männer. Jedes Mal, wenn der Vorhang sich öffnet, ist dahinter eine angsterregende Szene zu sehen – eine Operation, die Klappe zu einem Leichenfach oder eine gläserne Zelle, aus der kein Kontakt zu der Welt davor möglich ist. Die davor stehen, applaudieren manchmal den unheimlichen Szenen, und aus diesem Klatschen der Hände entwickelt das Ensemble eine Choreografie, in der auch die Füße schnell wie die klatschenden Hände an das Bein schlagen und Köpfe klein und abrupt nicken. Die Bewegungen haben etwas Puppenhaftes und Bedrängtes; die Figuren nehmen nicht richtig Raum, sie stehen unter einer Fuchtel, einem repressiven Regime der Angst.

Woher das aber kommt? Die Texte verweisen zwar auf die Religion, allein der Zusammenhang bleibt platt. Zumal der Soundtrack der Produktion groß auffährt, mit sakralen Chören und mit Opernzitaten von Wagner und Verdi eine emotionale Wucht auf die Bühne spült, für die man aber noch keinen Grund gesehen hat.

So bleibt vieles bei der Behauptung von Bedeutung stehen. Im Bühnenbild schieben sich von hinten immer mal wieder Objekte auf die TänzerInnen durch den Vorhang zu, bedrohlich, unheimlich, bis sie zu erkennen sind. Und so schiebt die Inszenierung auch ständig etwas Großes, Gewichtiges auf den Zuschauer zu, strotzt vor Symbolismen, ohne letzten Endes irgendwo an der Gegenwart anzudocken, sich irgendwo da einzuklinken, wo man sich selbst gerade befindet.

Vielleicht ist Marcos Morau auch nur ein Anachronist, der in seinen Stücken vergangenen Sprachen der Kunst nachtrauert, als noch Verhängnisse wie die Inquisition oder eine Diktatur ein Sprechen in Rätseln und Bildern des Unheimlichen nahelegten. Katrin Bettina Müller

„Voronia“: Schaubühne, 29. 8.