: Reizbarer Riese
Wer David und Goliath spielen will, muss sich warm anziehen. Die jungen Hamburger KünstlerInnen, die die Politik des dortigen Kunstvereins mitgestalten wollten, scheiterten zuletzt an ihrer viel zu dünnen Sommerkleidung
„Geh und spiel mit dem Riesen!“ Damals, als wir noch lasen, haben uns die Eltern Bücher wie dieses geschenkt, die pädagogisch wertvoll, aber nur mäßig heiter waren. Eins vor allem haben sie nicht transportiert: dass man sich warm anziehen muss, um „David und Goliath“ zu spielen. Und dass man des Gegners Reaktionen genau kennen muss, um eine reelle Chance zu haben. Auch den Blick des Bären soll man ja bekanntlich meiden.
Auf einer Fehleinschätzung der Reizbarkeit des Gegners beruhte auch der Versuch junger Hamburger Künstler, die Politik des dortigen Kunstvereins mitzugestalten, der ihnen zu wenig dialogbereit erschien. 27 Mitglieder sollen sie zu diesem Behufe vor der Vorstandswahl im September angeworben haben. Das Resultat: die Neubesetzung von sechs der neun der bis dato mit Anwälten, Versicherern und Kunstsammler-Gattinnen besetzten Posten mit jungen Künstlern. „Ein legitimes Verfahren“, wie der wiedergewählte Vorsitzende, Kunstsammler Harald Falckenberg, einräumt.
Trotzdem müssen sich er und die Seinen enorm vor den Jungen gefürchtet haben – „sie wollten subtil Einfluss auf die Arbeit des Direktors nehmen“, entsetzt sich Falckenberg. Und abgesehen davon, dass sich der inhaltliche Einfluss des Vorstands auf die Wahl des Direktors beschränkt, war bald von „Putsch“ und „feindlicher Übernahme“ die Rede.
Doch bald waren Gründe für eine Neuwahl gefunden: Eine der gewählten Künstlerinnen sei nicht Vereinsmitglied, hieß es – eine Formalie, die bis heute strittig ist. Per Rechtsgutachten ließ Falckenberg daraufhin die Legitimität der Wahl anzweifeln. Parallel ermunterte man 52 Mitglieder, eine Neuwahl zu beantragen. Letztes Rädchen im Getriebe: eine vom langjährigen Vorstandsmitglied Hans Jochen Waitz an Freunde versandte Kandidatenliste, verbunden mit der Bitte, dem Verein schnell beizutreten und Stimmrecht zu erwerben. Eine Methode, die glänzend funktionierte, verzeichnete man doch bald 141 Neuzugänge; die Neuwahl am Dienstag dieser Woche war mit 448 Stimmberechtigten so gut besucht wie seit Dekaden nicht.
Und fast hätte man sich freuen mögen am nicht endenden Strom der Neumitglieder, wäre dies nicht eine so eklatante Fehldeutung des – seinerzeit auf Mäßigung bedachten – Bibelspruchs „Aug um Auge, Zahn um Zahn“ gewesen: Nicht einfach, sondern hundertfach überboten wurde da, was die Künstler versucht haben sollen; mit Kanonen auf Spatzen zu schießen ist nicht immer die eleganteste Lösung. Und schon gar kein Ausdruck argumentativer Stärke, ist doch das Auffächern juristischer Spitzfindigkeiten ein eher unübliches Prozedere im Umgang mit Menschen, die inhaltliche Debatten wünschen. Zudem ist die Idee, nun seinerseits zu mobilisieren, zwar sportiv, aber letztlich wenig originell. Das Motto „was die können, können wir auch“ mag die Aktion getragen haben. Nur dass „die“ eben mittellose Künstler sind, während „wir“ sich am Dienstag als durchaus elitebewusste Bourgeoisie präsentierte. Die sich – in einem numerisch fast gewalttätigen Aufmarsch – gegen die Jugend wehrte, als ginge es um ihr Leben.
Dass die Wahl fast komplett die von Vorstandsmitglied Waitz erstellte Kandidatenliste bestätigte, erstaunte dann nicht sehr. Ob solche Machtdemonstrationen aber der Belebung der Kunst dienen – ob sie gar als Beweis der Offenheit taugen: Das sei vorerst dahingestellt. Petra Schellen