Berliner Szenen: Kellner
Lacht er noch?
Er begrüßt jeden, der zur Tür hereinkommt, mit der gleichen unverfänglichen Freundlichkeit. Mal ist es ein „Juten Tach“, mal ein einfaches „Hallo“, hin und wieder schleicht sich auch ein „Moin“ dazwischen. Alle werden geduzt, keiner kommt auf die Idee, sich zu beschweren. Von Freundlichkeit entwaffnet.
Die rote Schürze geht ihm bis über die Knie, das Hemd darunter ist weiß, die Jeans hellblau, die Schuhe sind bequem.
Er niest. „Der musste raus.“
Die schwarze Brille hat er bis zum Haaransatz hochgeschoben. Er braucht sie nur, falls er selbst mal etwas in der Speisekarte nachlesen muss. Meistens steckt sie unbeweglich auf seiner Stirn.
Das Angebot kann er ohnehin auswendig. „Spaghetti?“, bietet er jedem an, der allzu lange über der Karte brütet. „Ist heute Tagesgericht.“ Die meisten folgen seinem Vorschlag.
Drei Damen kommen herein, Stammkundinnen, er erkennt sie sofort, fragt wie’s geht, nimmt Mäntel ab und scherzt. Auch die Bestellung ist die übliche. Während sie warten, gesellt er sich noch ein-, zweimal zu ihnen. Nicht aufdringlich, nur ein Witz, ein Kommentar, wenn er ohnehin gerade auf dem Weg von der Tür zur Theke an ihrem Tisch vorbeikommt. Alle lachen, er geht wieder.
Auch als sie sich verabschieden, lacht er noch. „Schönen Tach euch!“, ruft er ihnen hinterher. Ebenso mit guten Wünschen werden auch die anderen Gäste verabschiedet.
Das Trinkgeld ist es nicht, was ihn motiviert, so scheint es. Auch nicht die Aussicht auf eine Beförderung. Vielleicht ist er ja sogar der Chef? Vielleicht ist er auch ein ganz anderer, sobald er die rote Schürze abnimmt? Die Brille abgelegt, der Mantel schwarz wie alle anderen, eine dunkle Mütze über die krausen Haare gestülpt, so schließt er die Tür hinter sich ab und stiefelt hinaus in die Dunkelheit. Lacht er immer noch? Dana Steglich
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