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NICHT DASS POLIZEI UND GERICHTE ETWAS GEGEN DEUTSCHE PATRIOTEN HÄTTEN. IN HAMBURG DEMONSTRIEREN DURFTEN DIE TROTZDEM NICHT – MAN IST JA SCHlIEssLICH NICHT DRESDENRandale mit rosa Lacktäschchen

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Am Samstag wollten die Patrioten durch Hamburg ziehen, um den „Tag der deutschen Patrioten“, also ihren Tag und sich selbst, zu feiern. Den „Tag der deutschen Patrioten“ gibt es eigentlich nicht im Kalender, aber wenn die Patrioten jetzt diesen Tag hätten feiern können, wie sie es vorgehabt hätten, dann hätte es ihn doch gegeben. Feiertage entwickeln sich. Einer feiert was, dann feiern es noch mehr, und irgendwann wird dann so ein Tag daraus, alle haben frei, die Kinder schwenken Papierfähnchen, jubeln den Patrioten zu und wollen, wenn sie groß sind, selbst mal Patriot werden.

So ist es nun nicht gekommen, denn die Polizei und die Gerichte, der Reihe nach bis zum Verfassungsgericht, haben zwar nicht den Tag an sich verboten, Tage kann man nicht verbieten, aber den Patrioten das Rummarschieren und Fahnenschwenken und Parolengrölen in Hamburg an diesem Tag. Nicht weil Polizei und Gerichte grundsätzlich was gegen deutsche Patrioten hätten, sondern weil es zu unschönen Szenen hätte kommen können: Zu so etwas wie einem kleinen Bürgerkrieg, dem die Polizei sich nicht gewachsen gefühlt hätte, und das in der schicken Hamburger Innenstadt. Hamburg ist nicht Dresden, in Hamburg marschiert kein deutscher Patriot einfach so die Straße entlang, um sich selbst und seine Vorstellung von Patriotismus zu feiern.

Das könnte in mir glatt selbst eine süße, kleine Art von Lokalpatriotismus auflodern lassen. Eine Art Heimatstolz, so etwas Ähnliches wie ein Patriot empfinden muss, obwohl ein Patriot gar nicht so zufrieden ist, mit dem Status quo in diesem Land: zu offene Grenzen, zu viele Flüchtlinge, Überfremdung, Verfall der Werte, das alles. Der Patriot schimpft, soweit ich das mitbekomme, ziemlich rum. Er ist sehr, sehr unzufrieden mit dem deutschen Volk, weil das deutsche Volk sich nicht so verhält, wie es sich in besser verhalten sollte. Das deutsche Volk aber begrüßt Flüchtlinge mit offenen Armen und führt so seine eigene Überfremdung herbei. Das deutsche Volk, so heißt es nämlich, und wenn einer Kommentare liest, weiß er das, das deutsche Volk schafft sich ab. Da ist ein rechter deutscher Patriot dagegen. Er verspürt Mitleid mit dem deutschen Volk und möchte ihm gern zeigen, was richtig ist, und zwar für das deutsche Volk selbst.

Ich war am Samstag am Hauptbahnhof, ich habe so einen inneren Drang, den Ereignissen ins Auge zu schauen. Ich dachte mir, dass der eine oder andere Patriot sich nicht dem Richterspruch beugen und doch anreisen würde. Ich war am Hauptbahnhof, nicht bei der anderen Demonstration, auf dem Rathausmarkt. Ich weiß, dass es auch eine gute Sache ist, ein Zeichen zu setzen, aber in dieser Sache mit den Patrioten bin ich der Ansicht, dass die Zeichen sinnvoller auf deren Weg zu setzen sind –und den Patrioten entgegen. Ich musste mir vorwerfen lassen, dass andere Leute, die auch da waren, Sachen gemacht haben, mit denen ich nichts zu tun hatte. Steine geworfen, zum Beispiel, auf einen Zug, auf Polizisten. Es soll etwa 500 Randalierer gegeben haben.

Randalierer ist so ein Begriff, für Leute eben, die randalieren; intern hat die Polizei da sicher andere Begriffe. Wenn aber wirklich 14.000 Leute am Hauptbahnhof waren, dann müssen 13.500 zu denen gehört haben, die nichts geschmissen haben. Und ich. In den Augen der Polizei war ich eine Dame, die zufällig in eine Menschenmenge geraten war, denn ich trug mein weißes Mäntelchen, mein Perlenkettchen, in der Hand mein rosa Lacktäschchen. In anderen Augen bin ich ein gesinnungsmäßiger Randalierer geworden. Und in meinen eigenen Augen plötzlich ein schüchterner Lokalpatriot. Verwirrend ist das, aber man darf sich nicht beirren lassen.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist beim Verlag Rowohlt Berlin erschienen.

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