Die Anstrengung der Erkenntnis

DSCHIHAD Text schiebt sich an Text in dem Stück „El Dschihad“ von Claudia Basrawi für das Ballhaus Naunynstraße. Sperrig, interessant und demokratisch ist ihre Recherche über den Begriff Dschihad

Auf Recherche-Mission zur Untersuchung von Propaganda Foto: Ute Langkafel/Ballhaus Naunynstraße

von Jenni Zylka

„Ich nenne das jetzt einfach mal meinen persönlichen Dschihad.“ Claudia Basrawi macht eine Geste, irgendwo zwischen einladendem Armeausbreiten und entschuldigendem Achselzucken. Die Regisseurin, Autorin und Schauspielerin steht in grünen Culottes auf der Bühne des Ballhauses Naunynstraße, hinter und neben ihr Vorhänge, die als Projektionsfläche für Fotos und Videos dienen.

Basrawi, Jahrgang 1962, hat tatsächlich eine persönliche Beziehung zu dem Phänomen, das im Westen momentan als Synonym für die Schrecken des Morgenlandes benutzt wird: Sie wurde in Beirut geboren, studierte in den 80er Jahren in Berlin und Damaskus. Und früher, erzählt die Autorin und Theatermacherin weiter im Auftakt für das Stück „El Dschihad“, das am Dienstag die neue Spielzeit des Ballhauses eröffnete, war Syrien für sie das friedlichste der vielen Länder, denen sie und ihre Familie verbunden war.

Als dort 2011 der Bürgerkrieg ausbrach, begann Basrawi zu recherchieren, fand Dokumente in Text und Bild, nahm in Vorbereitung für ihr Theaterstück in Face-to-Face- und E-Mail-Interviews Aussagen von IslamwissenschaftlerInnen, HistorikerInnen, einem Archäologen und einem Imam auf. Gemeinsam mit einem Team von vier DarstellerInnen hat sie aus diesen Gesprächen ein Reenactment ihrer Recherchen gepuzzelt.

„El Dschihad“ ist sperrig, interessant und demokratisch: Wie Noten von Zwölftonmusik schwimmen die Fakten und Infos nebeneinander und ineinander, ohne dass eine Bewertung zu erkennen ist. Alles ist gleichermaßen wichtig: An fast philosophische Betrachtungen zur Radikalisierung von Gefängnisinsassen schließen sich mit einer papiernen „Flüstertüte“ als symbolisches Aufnahmegerät aufgelockerte Gespräche zur Rolle der Medien beim Verbreiten und somit etwaigem Verstärken des Terrorismus.

Zur Frage, ob man die Bedeutung des „Dschihad“ – eines Worts, das übrigens „Anstrengung“ oder „Bemühung“ heißt und nur fälschlicher- oder auch tendenziöserweise mit „heiliger Krieg“ übersetzt wird – nicht verkleinern kann, indem man es inflationär benutzt, gesellt sich ein wenig später ein Elton-John-Song, der von der Leinwand aus dem Mund von Schauspieler Christoph Bach in den von Basrawi auf der Bühne hinüberhüpft, live begleitet von Schauspieler Mario Mentrup an der Gitarre. Der Lovesong von 1970 ist dabei die einzige inhaltliche Pause, die Basrawi dem Publikum gönnt. Ansonsten schiebt sich in den 70 Minuten Text an Text. Das ist anstrengend, aber auch rührend ernsthaft.

Sogar ein Handy­anruf, den der Archäologe bekommt, wird nachgespielt

Basrawis wertfreie Fiktionalisierung von Dokumentarinhalten verzichtet konsequent auf eine übergreifende, große Dramaturgie. Stattdessen präsentiert sie szenenweise verschiedene Aspekte, wie die unfassbaren Fakten über den „deutschen Dschihad“, und beweist damit nebenbei, dass die Dschihad-Strategien schon immer bekannt und in jedem Krieg, jeder politischen Meinungsverschiedenheit benutzt wurden: Basrawi lässt eine ihrer Schauspielerinnen als deutschen Diplomaten und Orientalisten Max Freiherr von Oppenheim in einem Video auftreten und die Idee des „Panislamismus“ deklarieren. Denn Deutschland hatte sich sogar einst als Schutzmacht der von englischen und französischen Kolonialherren unterdrückten muslimischen Völker betrachtet. Im sogenannten Halbmondlager in Wünsdorf bei Berlin, wo im Ersten Weltkrieg muslimische Araber, Inder und Afrikaner inhaftiert waren, versuchte man die Muslime für die eigenen politischen Zwecke zu instrumentalisieren.

Dass die Deutschen selbst also einst den Dschihad forderten, weil es ihnen politisch gerade in den Kram passte, ist ein grandioses Fazit des Abends. Dieses droht allerdings durch die Vielzahl von Informationen und deren gleichmäßiger Darbietung ein wenig unterzugehen. Vielleicht hätte das Verpacken in griffige Slogans das Konzept tatsächlich geschwächt – vielleicht hätte es sich aber auch besser im überforderten Zuschauergehirn festgesetzt.

Auf den Trümmern der Moschee, die damals in Wünsdorf für die Gläubigen errichtet wurde, hat Basrawi ein Gespräch mit einem Archäologen geführt. Mit diesem Interview endet das Stück, und das Re­enactment bekommt eine seltene, angenehm absurde Note: Sogar ein Handyanruf, den der Archäologe währenddessen bekommt, wird vom Schauspieler Erdinç Güler nachgespielt. Basrawis persönlicher „Dschihad“, die Anstrengung, den Begriff in neue Kontexte zu stellen, hat am Ende funktioniert. Und das auch noch ganz friedlich.

Ballhaus Naunynstraße 4. /5. 9., 7.–8. 9., 20 Uhr