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The Big Lubelski

DOKUMENTARFILM Ein Leben, so reich, als müssten ein paar ausgelöschte mitgelebt werden: Elkan Spiller hat einen schönen Film über den jüdischen Tausendsassa Chaim Lubelski gedreht. Am Montag stellen beide ihn nun vor dem Start in Hamburg vor

Erstaunlicher Mann: Chaim Lubelski mit seiner Mutter   Foto: Verleih

„Jeder wird so in seine Nische rein geboren“, sagt Chaim Lubelski einmal, „und von dieser Nische kann man sich schlecht lösen.“ Und hat dem Zuschauer da doch schon über eine Stunde lang das Gegenteil geboten: ein Leben, das weniger nach Nische kaum aussehen könnte, zumindest nicht nach einer einzigen.

Lubelski, 1947 als Sohn polnischer Juden in Regensburg geboren, hat auf der Straße gelebt, in Paris und in St. Tropez, er war Hippie und ist durchaus religiös, kifft bis heute („um es überhaupt auszuhalten“), ­deal­te auch mal selbst, ist durch den Handel mit Levi‘s-Jeans reich und an der Börse wieder arm geworden. Lubelski war auf dem Weg zum professionellen Schachspieler, „wenn du nur mehr innere Ruhe hättest“, haben sie damals gesagt, dann hätte er groß werden können.

Als wir ihn treffen in Elkan Spillers Film „L‘Chaim – Auf das Leben!“, lebt er in Belgien, wo es ihm nicht gefällt, aber es ist wegen seiner Mutter, und, na ja, die holländischen Coffee-Shops … Mit der Mutter spricht er Deutsch, sorgt sich, dass sie nie genug isst und trinkt, eigentlich gehöre sie ins Krankenhaus. Für einen, der nach außen selbst vielleicht hilfsbedürftig wirken mag – spindeldürr, das Gesicht von zerzaustem Bart überzogen, das Gebiss teilruiniert – kümmert Lubelski sich ganz schön viel; aber das mag auch mal anders gewesen sein.

Als Kind schon hatte er für den kranken Vater das Morphium aus der Apotheke holen müssen, auch davon erzählt er. Und dass der Holocaust immer allem zugrunde gelegen, alles durchzogen habe. Es kann ja kein Film über eine jüdische Biografie im 20. Jahrhundert nicht davon handeln: von der Vernichtung und dem Schweigen, und so redet auch Lubelskis Mutter, als es zu Ende geht, davon, dass die Deutschen, diese Mörder ihrer Eltern, brennen sollen.

Chaim Lubelski bleibt zurück nach ihrem Tod, pflegt das verschneite Grab in Belgien, spielt Schach vor Publikum am Mittelmeer, blinzelt in die Sonne, und um das Zimmer mit den vielen hebräischen Büchern hätte er sich mal zu kümmern.

Zehn Jahre gibt er sich selbst noch, sagt er gegen Ende dieses schönen Films, und man hofft, dass er da falsch liegt, dieser erstaunliche Mann. ALDI

Hamburg: Do, 27.8. bis Mi, 2.9., je 20 Uhr, Abaton-Kino. Vorführung in Anwesenheit von Regisseur und Produzent Elkan Spiller und Protagonist Chaim Lubelski: Mo, 24. 8., 20 Uhr

Bremen: 3.9. bis 9.9, je 20 Uhr, City 46

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