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Archiv-Artikel

Verhandeln ohne Bedingungen

SCHULREFORM Initiative will verhandeln, wenn Ole von Beust sein Votum für die Reform zurücknimmt. Professoren bezweifeln Effektivität der Primarschule

Pro und Contra

Gegen die Primarschule ist Bundeswehr Professor Stefan Dickmann. Begabtere Schüler werde sie „verkümmern lassen“. Besser sei ein gegliedertes System mit „nicht allzu inhomogenen Lerngruppen“.

■ Die Primarschule ist eine Chance, sagt Karl Dieter Schuck, Dekan der Erziehungswissenschaften der Uni Hamburg. Das gegliederte Schulwesen lebe von der Überzeugung, dass homogene Lerngruppen für den Erfolg der Schüler notwendig sind. „Gegen diese Überzeugung spricht eine Fülle von Ergebnissen wissenschaftlicher Untersuchungen“, sagt er.

Die Volksinitiative „Wir wollen lernen“ will den Druck auf Bürgermeister Ole von Beust (CDU) erhöhen. Man sei zuversichtlich, einen Volksentscheid zu gewinnen und werde nur dann über die Schulreform verhandeln, wenn der Senat „keine Vorbedingungen stellt“, sagte Initiativen-Sprecher Walter Scheuerl. „Von Beust hat gesagt, die Primarschule ist nicht verhandelbar. Das muss vom Tisch.“

Sollte von Beust dabei bleiben, werde es keine Verhandlungen geben. „Aber ich kann mir das nicht vorstellen“, sagte Scheuerl gestern nach einem Treffen mit dem als Moderator eingesetzten Unternehmer Michael Otto. Trotz allem werde es bald einen Gesprächstermin zwischen der Volksinitiative und den Regierungsfraktionen geben.

In der Senatskanzlei reagierte man gelassen. Beide Seiten hätten ihre Positionen hinlänglich dargelegt. „Das sollte aber kein Hindernis für Gespräche und Verhandlungen sein“, sagte eine Senatssprecherin.

Unterdessen meldeten sich gestern zehn Professoren der Bundeswehr-Universität (Helmut Schmidt Universität, HSU) mit einem über das Hamburger Abendblatt veröffentlichten Brief zur Schuldebatte zu Wort. Schon heute könne er als Hochschullehrer beobachten, dass Abiturienten besonders in Mathematik und den Naturwissenschaften „nicht studierfähig sind“, schreibt der Elektrotechnik-Professor Stefan Dickmann. Gymnasien hätten es offenbar aufgegeben, im Schlüsselfach Mathematik ein über Formelwissen hinausgehendes „wirklich tiefes Verständnis“ zu vermitteln. Solche Missstände würden mit einer sechsjährigen Primarschule „erheblich verschärft“, weil dann die begabteren Schüler verkümmerten.

Dickmann hatte seinen Brief mit der Bitte um Unterschrift an die rund 90 Professoren der Bundeswehr-Universität gemailt und neun Unterschriften erhalten. „Es kommt mir so vor, als ob hier jemand seine Privatmeinung unter dem Deckmantel seines Berufs verkaufte“, sagt der SPD-Abgeordnete Martin Schäfer, der an der HSU arbeitet. „Herr Dickmann bezieht sich auf die Studierenden, die er kennt. Davon sind nicht mal ein Prozent Hamburger“, sagt Schäfer.

Zur Bundeswehr-Uni komme nur, wer sich für zwölf Jahre beim Militär verpflichte. Darunter seien viele junge Männer aus strukturschwachen Gebieten, die vor Ort keine Perspektive haben. Schäfer: „Ein Rückschluss auf Hamburger Schulabgänger kann nur bei stark eingeschränkter Denkfähigkeit gezogen werden.“ KAIJA KUTTER