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KUNST

KunstNoemi Molitorschaut sich in Berlins Galerien um

Jaaaa, Queertopia! Ausgerufen von der Galerie 68 projects. Über 25 Künstler_innen sind zu sehen, von Fotografien von Nan Goldinund Catherine Opiebis hin zu einer Wachsskulptur mit großer Raumpräsenz von Anita Dube, die das Wort „Love“ ausbuchstabiert. Da ist es auch nicht so schlimm, dass ein immersives Weltraum-Erlebnis mit queeren Aliens, wie der Titel verspricht, fehlt und das Buch „Cruising Utopia“ des Queer-Theoretikers José Muñoz nur kurz zitiert wird: Wir können Queerness berühren, sie fühlen, aber sie ist noch nicht da. Eine Mischung aus Vision und Melancholie also. So geht es dann vielleicht doch eher um Queertopia im Sinne einer Heterotopie nach dem Philosophen Michel Foucault. Ein Ort also, in dem die Zeit gesammelt und gestapelt wird wie in einem Museum, oder aber ein Ort, an dem man sich nur kurz aufhält, um heimlich Sex zu haben. Sex ist in verschiedensten Konstellationen zu sehen, hübsch verpackte Jungs in Bondage-gear stapeln sich zum Beispiel in Matt LifsonsGrafitzeichnung zu einer Pyramide. Angedeutet bleibt der Spaß bei Elisabeth SchmirlsDruck „Five Parts“. Über eine Fläche von 190 x 231 cm stückelt sich aus kleinen DIN-A4-Blättern ein schwarz-weißes Gruppenbild zusammen. Sechs Damen, die aus den 1920ern entsprungen scheinen, umringen eine siebte mit Vogelmaske und Perlenkette, und es knistert. Sehr zu meiner Freunde findet sich zumindest eine abstrakte Arbeit: „Melancholia“ von Michael Rockellässt Seife und Pigment auf einer Glasplatte zerlaufen. Die meteorhafte Form, die hier entsteht (oder war es Sperma, Ei, Amöbe?), lässt dann doch noch einige posthumane Assoziationen zu. Form, Materialbewegung und Seherlebnis queeren hier nämlich die Grenzen zwischen Künstler-Subjekt und Kunst-Objekt (bis 5. 9., Di.–Sa., 11–18 Uhr, Fasanenstr. 68).

So andernorts auch der Fotograf und Digitalkünstler Asger Carlsen. Seine für Dittrich & Schlechtriem entwickelte Ausstellung „Drawings from the Hand“ scheint abstrakte Skulpturen auf schwarzen Spiegelflächen abzubilden. Doch diese existieren nur im zweidimen­sio­nalen Raum seiner Fotocollagen. Die Körpernähe seiner vorigen Arbeiten (ineinander gemorphte Arme und Beine, oft ohne Gesichter) fehlt hier fast ganz. Einzig seine eigene Nase ist erkennbar zwischen einem Wust unterschiedlicher Oberflächen, fotografiert in seiner New Yorker Wohnung. Mittels digitaler Technologie definieren die Arbeiten das klassische Format der dreidimensionalen Skulptur um und die Fotografie gleich mit. Sie erschafft hier einen illusorischen, utopischen Bildraum (noch bis 22. 8., Di–Sa, 11–18 Uhr, Tucholskystr. 38).

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