Letzte Klappe für Grass

BUCH-NEUHEIT

Jetzt ist er doch schneller gewesen und an genau jener Endlichkeit gescheitert, über die er bis zur letzten Sekunde schrieb: Günter Grass, der am 13. April mit 87 Jahren in Lübeck starb, kann sein jüngstes Werk „Vonne Endlichkait“, das er genau so buchstabiert haben wollte, am 28. August in Göttingen nicht mehr selbst vorstellen.

Das ist schade, denn da wird ihm der Steidl-Verlag, mit dem er die letzten 30 Jahre zusammenarbeitete, ein kleines posthumes Fest bereiten, das leicht zu einer Art Gedenktreffen einstiger Weggefährten werden kann.

Der Ort des Geschehens lädt jedenfalls dazu ein: Das kürzlich eröffnete Grass-Archiv im ältesten Göttinger Wohnhaus von 1310 liegt gleich neben dem Steidl-Verlag, ist mit etlichen Skripten, Zeichnungen, Skizzen, Umschlagentwürfen und Korrespondenzen gefüllt und damit die größte Grass-Sammlung Deutschlands.

Einen Auszug aus diesem Archiv – quasi dessen exemplarische Verdichtung – bietet das neue Grass-Buch, über dessen genauen Inhalt alle Beteiligten bislang beharrlich schweigen. Durchgesickert ist nur, dass „Vonne Endlichkait“ ein experimentelles Konglomerat aus Prosa, Lyrik sowie 65 Bleistiftzeichnungen ist und damit formal freier als Grass‘ bisherige Werke. Präsentiert als – künstlerisch überhöhte – Lose-Blatt-Sammlung, verleitet es den Leser, nach Stringenz zu suchen. Das kann gelingen oder nicht; in jedem Fall wird Identität – auch literarische – als Konstrukt entlarvt. Und die zugehörige Biografie gleich mit: als Ereigniskette ohne Zwangsläufigkeit.

Fixpunkt im Buch ist das Hier und Jetzt: Grass‘ Altern inklusive Gesundheits- und Freundesverlust; vom Gebiss im Wasserglas ist die Rede sowie von der Hoffnung, „federleicht vogelfrei zu sein“. Denn dieses Buch zelebriert auch die Ablösung von Körperlichkeit und Erdenschwere und von als verbohrt empfundenen Grenzen zwischen Lyrik und Prosa.

Das ist mutig, das ist schwer, weswegen Grass die Arbeit an dem Band einmal als „Tortur“ bezeichnete. Und das nicht nur, weil er – wie üblich – zunächst eine handschriftliche Fassung erstellte und dann zwei maschinenengetippte. Mühsam ist dieses Unterfangen auch, weil eine solche Textkomposition die verschlungenen Wege von Gedanken und Assoziationen nachzeichnet. Natürlich ist „Vonne Endlichkait“ nicht das erste Buch, das so etwas versucht. Aber sicher ein gewichtiges. Näheres am Freitag. ps