: Schön die Kirche im Dorf lassen
Beim Amt des Kulturstaatsministers bleibt es bei Gerüchten: Die wertkonservative Familien- und Bildungspolitikerin Maria Böhmer wird derzeit als heißeste Kandidatin gehandelt. Kulturpolitisch aufgefallen ist sie bislang noch nicht
In Kulturkreisen macht schon der – übrigens noch nicht einmal sonderlich originelle – Witz vom „Warten auf Godot“ die Runde. Schließlich ist das einzige Politikfeld, das im Rahmen der Koalitionsverhandlungen noch nicht mit führenden Politikernamen garniert wurde, das Feld der Kulturpolitik. Immerhin ließ die CDU gestern per Pressemitteilung aber wenigstens Zweifel daran zerstreuen, ob das Amt des Kulturstaatsministers in einer großen Koalition überhaupt wieder besetzt werden sollte. Doch, doch, auch im künftigen Kabinett Angela Merkels werde ein im Kanzleramt angesiedelter Staatsminister oder eine Staatsministerin für Kultur zuständig sein, hieß es. Wer in dieses Amt berufen werden soll, habe Merkel aber noch nicht entschieden, wurde allerdings gleich angefügt. Das Warten geht also noch ein bisschen weiter – was in der notorisch spekulationsbegeisterten Kulturszene die Gerüchte am Köcheln hält.
Die Gerüchte transportieren vor allem zweierlei: einen Namen und eine Einschätzung. Der Name lautet Maria Böhmer, so heißt die 55-jährige Vorsitzende der Frauen-Union, die zugleich Mitglied des Deutschen Bundestags, des Bundesvorstands der CDU, des Fernsehrats des ZDF sowie des Familienbunds der deutschen Katholiken ist. Auf sie werde die Entscheidung Merkels hinauslaufen, so wird spekuliert. Die FR ist sogar vorgeprescht und meldet, aus CDU-Kreisen erfahren zu haben, dass Merkel sich bereits für Frau Böhmer entschieden hat, was die CDU-Pressemitteilung dann aber dementierte. Heißeste Kandidatin bleibt Maria Böhmer dennoch.
Als Kulturpolitikerin in Erscheinung getreten ist sie bislang noch nicht – sieht man davon ab, dass sie in den Neunzigerjahren eine Initiative gegen Gewalt- und Sexdarstellungen im Fernsehen startete und dass sie sich auf dem Höhepunkt der „Big Brother“-Hysterie vehement für ein Verbot der Containershow einsetzte. Beide Vorstöße hatten wenigstens im weiteren Umfeld etwas mit Kultur zu tun.
Ansonsten beackert die Politikerin die Bereiche von Familie bis Bildung, ist in der CDU auch für Kirchenfragen zuständig und wird von Beobachtern gern mit paradoxen Beschreibungen bedacht; sie gilt als wertkonservative Politikerin, die sich in der Familienpolitik aber fortschrittliche Positionen zu eigen gemacht habe. Ihre Berufung würde eine Neuinterpretation der Stelle bedeuten. Nach der betonten Intellektuellenoffenheit und Kulturbeflissenheit von Rot-Grün liefe es mit ihr eher auf konservativere Kulturbetrachtungen heraus. Das betrifft auch die Einschätzung, die derzeit in Form von Gerüchten umgeht: Während Rot-Grün auf dem Feld der Kulturpolitik offensiv spielen wollte, scheint Schwarz-Rot dazu zu tendieren, hier die Kirche im Dorf zu lassen. Kulturelle Repräsentation ja, Wohlwollen für kulturelle Belange ja, aber eher Sachpolitik als das Öffnen kultureller Fässer oder Debatten. Wie immer man zum beflissenen rot-grünen Künstlerroman stand, die Kultur ins Feld des Trutschigen zu spielen, wirkt jedenfalls nicht verheißungsvoll. DIRK KNIPPHALS