Kleine Lieder über Leidenschaft

In „Keine Lieder über Liebe“ spielt Jürgen Vogel einen Musiker, mit der Hansen Band geht er wirklich auf Tournee, und Filmpartnerin Heike Makatsch schrieb ein Buch darüber – das kleine Selfmade-Label Grand Hotel van Cleef ist plötzlich in aller Munde. Aber wie konnte es nur dazu kommen?

von DAVID DENK

Kann gleich losgehen. Marcus Wiebusch will nur schnell noch ein paar Mails lesen, bevor er mit seinen Kollegen von der Hansen Band nach Berlin aufbricht. Am Abend werden sie bei Sarah Kuttner zu Gast sein und live auf MTV ihre erste Single „Baby Melancholie“ spielen.

Vorher müssen sie allerdings noch in ihren Proberaum am Hamburger Hafen, um dort ihr Equipment einzuladen. Boxen in Kleintransporter zu wuchten, ist wohl ein Teil dessen, was Wiebusch „die dreckige Realität“ nennt:

„Schön, dass jetzt auch mal ein Film zeigt, wie’s wirklich ist“, sagt er und meint den Tour-Alltag in verwohnten Backstageräumen und schäbigen Mehrbettzimmern.

„Keine Lieder über Liebe“ läuft seit vergangener Woche erfolgreich im Kino. Wiebusch spielt darin sich selbst – mit dem kleinen Unterschied, dass er in seiner Band Kettcar singt, in der Hansen Band dagegen nur die Gitarre und sich selbst ansonsten im Hintergrund hält. Den großen Auftritt überlässt er Markus Hansen alias Jürgen Vogel, der so gerne mal einen Musiker spielen wollte, dass er den Regisseur Lars Kraume solange mit seiner fixen Idee genervt hat, bis dieser mit Vogel zusammen die Figur des Markus Hansen und dessen Geschichte entwickelt hat – unter einer Bedingung. „Wenn du einen Musiker spielst, dann wirst du auch Musiker und trittst auf“, habe er zu ihm gesagt, erinnert sich Kraume. „Sonst weißt du ja gar nicht, worüber du redest.“

Der Star ist die Mannschaft

Auch die anderen beiden Hauptrollen in „Keine Lieder über Liebe“ sind mit Heike Makatsch und Florian Lukas hochkarätig besetzt.

Doch der eigentliche Star ist mal wieder die Mannschaft – in diesem Fall die Mannschaft vom Grand Hotel van Cleef: Musiker des Hamburger Indielabels stellen die vierköpfige Hansen Band und haben alle Songs geschrieben. Der Legende nach, weil Jürgen Vogel die Alben von Kettcar und Tomte aus einem Stapel von 27 CDs rausgepickt hat. „Wir wollten sie wegen ihrer eher assoziativen Texte und der kryptischen Montage von Inhalten“, erinnert sich Regisseur Kraume, noch immer beseelt von der Zusammenarbeit. „Das sind einfach wahnsinnig tolle Leute, die sich mit viel Herzblut in die Aufgabe reingestürzt haben.“ Zum Dank wurde aus dem Film eine Art Dauerwerbesendung für das Label, dessen schwarz-weißes Banner bei jedem Konzert der Hansen Band über der Bühne hängt.

Vor gut zwei Wochen ist das erste Album der Hansen Band erschienen. Der Titel, na klar: „Keine Lieder über Liebe“. Es sei aber kein Soundtrack, sagt Reimer Bustorff, „das hören wir hier nicht so gerne“. Der Kettcar-Bassist und Mitgründer von Grand Hotel van Cleef ist der einzige Songschreiber, der nicht im Film mitspielt. Er wollte einfach nicht. „Für mich war von vornherein klar, dass ich den anderen beiden den Vortritt lasse“, sagt Bustorff. Die anderen beiden, das sind seine Partner Wiebusch und Thees Uhlmann, Sänger von Tomte.

Ein seltsames Gespann, der hagere, verschlossene Bustorff, der hünenhafte, tapsig und gutmütig wirkende Wiebusch, der sich in einem Kettcar-Song ziemlich treffend „Balu“ nennt, und der blonde, irgendwie undurchsichtige Mädchenschwarm Uhlmann. Aber vielleicht ist man es als Journalist nur nicht gewöhnt, dass jemand so offen ist: Er lädt den Reporter zu sich nach Hause ins kreative Chaos ein, wo er laut Reimer Bustorff seine Rechnungen in Schuhkartons lagert – „wenn überhaupt“, zeigt ihm eine Postkarte seines Heimatstädtchens Hemmoor, erzählt, dass sein Vater gerade ins Altenheim gekommen ist, will den Reporter kurzfristig noch für die Filmpremiere akkreditieren und unterschreibt die Mail nach dem ersten und einzigen Treffen mit „Dein Thees“. Lediglich das Foto seiner Freundin, wegen der er im Mai von Hamburg nach Berlin gezogen ist, enthält er ihm vor.

Beim Besuch im Hamburger Büro von Grand Hotel van Cleef wird schnell klar, dass diese Offenheit Programm ist. „Bitte rauchen!“, wird der Reporter, leider Nichtraucher, gleich nach der Begrüßung aufgefordert.

Genau wie die Künstler hier ein und aus gehen, sich die neueste Musik anhören oder vor den Heimspielen des FC St. Pauli schon mal ein Bierchen trinken, darf auch er hier einen halben Tag lang rumhängen und Simon und Jan, die Büronotbesetzung (wegen des TV-Auftritts), von der Arbeit abhalten, die Jan „aber nie als Arbeit bezeichnen“ würde – „auch wenn’s Arbeit ist“. Damit man aber keinen falschen Eindruck von der Arbeitsmoral bekommt, schiebt er nach: „Es gab noch nie einen Kicker hier oder eine Tischtennisplatte.“

Das Klischee ist die Wahrheit

Auch einem anderen Klischee entspricht das Grand Hotel van Cleef nicht. „Dafür, dass das hier ein Indielabel ist, werden Praktikanten gut bezahlt“, sind sich Simon und Jan einig, die beide als Praktikanten angefangen haben und übernommen wurden.

Jetzt betreut Jan den Online-Shop und bringt jeden Tag etwa 30 Päckchen zur Post. Simon kümmert sich von vorne bis hinten um die neue Platte von Maritime: Herstellung, Promo, Vertrieb. „Wir gehen langsam dazu über, ganze Projekte an einzelne Leute zu delegieren“, sagt Simon. Und Jan ergänzt: „Aber im Prinzip macht jeder erst mal alles.“ Die frisch gelieferten T-Shirts falten zum Beispiel: Jan hasst es, also erbarmt sich Simon, der dabei gut nachdenken kann.

Früher war hier die Verwaltung des ehemaligen Schlachthofs nebenan untergebracht – und genauso trostlos sieht das GHVC-Büro auch aus: billiger Laminatfußboden, niedrige Decken mit Neonröhren, in Holzregalen stapeln sich die fertig gefalteten T-Shirts, hinter der grauen Tür leere Bierkisten und die Hausbar, bestehend aus Jim Beam und obskurem Fusel. Fünf Schreibtische drängen sich auf den verbleibenden 15 Quadratmetern (gefühlter Wert). Zumindest die Aussicht ist riesig. Durchs Fenster sieht man den monströsen Hochbunker auf dem gegenüberliegenden Heiligengeistfeld. Alles halb so wild, das erste Büro war im Erdgeschoss an einer Durchgangsstraße. „Das konnte manchmal schon ganz schön laut werden“, sagt Reimer Bustorff trocken; genauso trocken wie die Entscheidung erscheint, die Firma trotzdem Grand Hotel zu nennen. In der Hoffnung auf bessere Zeiten.

Vor drei Jahren führte Wiebusch „legendär deprimierende Gespräche mit Plattenfirmen“. Keiner wollte das erste Album seiner Band Kettcar („Du und wie viel von deinen Freunden“) rausbringen. Wiebusch erinnerte sich an diesen Typen, der laut Selbstauskunft „meistens besoffen“ war: Thees Uhlmann. Auch seine Band Tomte fand kein Label. Sie taten sich zusammen und stacheln sich seitdem gegenseitig an. „Wir haben zwar kein lattenmessenmäßiges Konkurrenzdenken“, sagt Marcus Wiebusch, „aber ich denke schon immer, dass unsere nächste Kettcar-Platte mindestens so gut sein muss wie die letzte von Tomte.“

Das ist wohl gelungen, denn das im März 2005 erschienene zweite Kettcar-Album „Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen“ ist mit fast 60.000 verkauften Exemplaren die mit Abstand erfolgreichste Veröffentlichung des Labels. Getoppt worden wär e das nur vom neuen Album der Senkrechtstarter von Death Cab for Cutie aus Seattle – leider ist die Band in Deutschland nicht mehr bei Grand Hotel van Cleef, sondern bei einem Major: „Ich würde es selber genauso machen“, sagt Wiebusch ohne Bitterkeit.

Er ist froh darüber, Maritimes Potenzial erkannt zu haben, „bevor alle anderen draufgesprungen sind“. Und stapelt tief: „Bisschen Instinkt, bisschen Glück“ – mehr brauche man dafür nicht. Das sei aber schon ziemlich viel, widerspricht ihm sein Bandkollege Reimer Bustorff: „Ich hätte hundertprozentig die Strokes nicht erkannt.“ Und auch bei Wir sind Helden habe er seine Zweifel. Apropos Helden. „Klar schwimmen wir im Fahrwasser von diesem Deutsch-Quatsch“, sagt Bustorff. Wer sich eine Nena- oder Silbermond-CD kaufe, greife eben irgendwann auch zu Kettcar.

Wahrscheinlich hat ihr Erfolg auch mit diesem unsäglichen Modewort zu tun: Authentizität. Oder wie es Thees Uhlmann formuliert: „Wir glauben uns – und die Leute glauben uns.“ Wohl auch, weil die Musiker von ihren Fans kaum zu unterscheiden sind. „Die sehen ja aus wie ich“, versucht Thees Uhlmann die Gedanken seiner Fans zu lesen, „und sind sogar noch beschissener angezogen als ich.“

Konsens und Klamotten

Marcus Wiebusch zum Beispiel trägt beim Interview einen ausgeleierten Pulli, der wohl mal schwarz war, und Chucks, die noch schwarz sind, aber ausgelatscht. Sein Outfit entspricht also genau einem der Adjektive, das Uhlmann den GHVC-Fans verpasst: unaufgeregt. „Die meisten denken politisch eher links und reflektieren viel“, ergänzt Reimer Bustorff. „Spitzenleute sind das.“

Dass Kettcar und die anderen GHVC-Bands längst kein Geheimtipp mehr sind, hat sie einige Fans gekostet, ihnen aber viele neue gebracht. „Ich habe kein Problem damit, eine Konsenssache zu sein“, sagt Thees Uhlmann selbstbewusst, „solange Marcus Wiebusch und ich der Konsens sind.“ Natürlich genießen sie es, wenn Jürgen Vogel bei „Wetten dass …?“ voller Bewunderung über sie spricht und die Hansen Band live bei Sarah Kuttner spielt. „Ich habe mein ganzes Leben darauf gesetzt, dass die Leute mir irgendwann zuhören“, sagt Uhlmann. Dieses Ziel hat er erreicht. „Wir“, spricht Marcus Wiebusch mal wieder im freundschaftlichen Plural, „sind nicht so Four-Music-mäßig unterwegs, dass wir die ganze Welt erobern wollen.“ Deutschland reicht.

Im Büro ist Ruhe eingekehrt, die Band auf dem Weg nach Berlin. Simon hat gerade 1.000 Maritime-Buttons nachbestellt und Jan beantwortet eine Mail. Plötzlich stockt er und fragt in die Runde: „Kommerziell – wird das mit einem „m“ geschrieben oder mit zwei?“ Allmählich muss man sich im Grand Hotel van Cleef mit ziemlich seltsamen Fragen beschäftigen.