piwik no script img

Wie also tanzt man dazu?

Jazz und SoundartVier Abende lang feierte das A l’Arme! Festival mit enthusiastischen Gästen im Berghain und im Radialsystem V

von Robert Mießner

Gerade noch debattierten wir Geräuschgebundenen, ob sich zu Free Jazz tanzen lasse, und, wenn ja, wie das dann wohl aussehen möge, da mussten wir schon mit. Zu einem Schlagzeug, das einem Sturzbach gleichkam, einem mahlenden E-Bass, zu hektischen Saxofonen und einem halben Dutzend orientalisch anmutender kleinerer Holzbläser. Nicht zu vergessen unerwartete, unerhörte Keyboardeinwürfe und Schama­nengesang. Die Band, die solcherart am Abschlussabend des A l’Arme! Festivals im Radialsystem aufspielte, heißt Kon­strukt.

Das Quartett hat sich 2008 in Istanbul gegründet und mit Leuten wie Peter Brötzmann und Marshall Allen, dem Leiter des Sun Ra Arkestra, zusammengearbeitet. In Berlin hatten sie sich den Akustikbassisten William Parker als Gast auf die Bühne geholt. Er spielte sein wuchtiges Instrument hauptsächlich mit dem Bogen und grundierte so den mäandernden Puls der Istanbuler – die von ihrem Sound übrigens nicht als Free Jazz, sondern als Free Music reden. Ein Unterschied, den wir uns merken sollten. Wie also tanzt man dazu? Unsere Bewegungen wurden die kauziger Kobolde und somnambuler Schlangenbeschwörer.

Überhaupt der Tanz! Es gab ihn an mehreren Festival­aben­den, ob spontan oder cho­reo­grafiert. Am Donnerstag sahen und hörten wir die italienisch-berlinische Tanzcompagnie Dewey Dell mit ihrer Performance „Marzo“. Zu „Black Fanfare“, einer elektroakustischen Komposition von Demetrio Castellucci, führten Dewey Dell einen nur anfangs irritierenden Kostüm- und Maskenball auf, irgendwo zwischen Science-Fiction und König Ubu. Aus Verwunderung wurde jäher Schock und Einsicht; der Tanz verlor seine Unschuld. „Marzo“, der März, ist der Kriegsmonat.

Den Abend darauf präsentierte die amerikanische Wahlberlinerin Marcela Giesche ihre Performance „exFolia“ zur Musik des niederländischen Duos Andy Moor und Yannis Kyriakides an Baritongitarre, Sam­pler und Computer. Der Bühnenboden war komplett mit Tageszeitungen ausgelegt, an seinem hinteren rechten Rand eine Erhöhung. Ein Hügel, aus dem Giesche steigen und die Werkzeuge ihrer Gefangenschaft mit Nachdruck vertreiben sollte. Am Ende stand sie nackt und körperbemalt am Bühnenrand, starrte ins Publikum. Die Deutung des Bildes ist bereits das Bild.

Unsere Bewegungen wurden die kauziger Kobolde und Schlangenbeschwörer

Dabei geriet das diesjährige A l’Arme! Festival bemerkenswert unakademisch. Angedeutet hatte sich das bereits in seinem ersten Jahr: 2012. Nun aber wurde es augenfällig und hörbar. Wenn den Eröffnungsabend am Mittwoch im Berghain die japanischdeutsche DJane Mieko Suzuki bespielte, fragte man sich schon, ob das in dieser Form vor 15, 20 Jahren auf einem Free-Jazz-Festival so einfach durchgegangen wäre. „Free Jazz“ – wir wollen mit dem Begriff vorsichtig sein. Die Kuratoren und Organisatoren des A l’Arme! sprechen eher allgemein von Jazz und Soundart. Das hat weniger mit postmoderner Beliebigkeit als mit ­fröhlicher Igno­ranz gegenüber stilistischen Begrenzungen zu tun.

In diesem Rahmen ist dann vieles möglich: Der Free Jazz „alter Schule“ des Jürg Wickihalder European Quartet mit Irène Schweizer am Piano, ein verzwickter, mitreißender Swing, wie der widerborstige Hardcore-Jazz des italienischamerikanischen Trios Zu. Oder die weit ausladenden Stücke des Basssaxofonisten Colin Stetson. Er spielte gleich zweimal. Im Berg­hain mit dem E-Bassisten und Produzenten Bill Laswell, im Radialsystem solo. Stetsons Sound ist eine eigenwillige Variante von Jazz als räumlicher Musik und Massage. Er brachte die Stühle zum Vibrieren.

Einige der Klischeevorstellungen, die an den freieren Jazz geknüpft sind, wollen wir nicht unerwähnt lassen. Ja, die norwegische Saxofonistin Mette Rasmussen dämpfte im Berg­hain ihr Instrument mit einer ausgetrunkenen Wasserflasche und präparierte es mit weiteren Fundstücken. Es klang hinreißend. Auch hauchten an den vier Abenden drei Verstärker ihr Leben aus. Das letzte Mal geschah dies kurz vorm Ende, als die äthiopische Musik- und Tanzgruppe Fendika auf das norwegischamerikanische Duo Ken Vandermark und Paal Nilssen-Love traf. Andy Moor gesellte sich ein weiteres Mal dazu. Und er war es dann, den das Missgeschick ereilte. Der Schreck war kurz, die Ekstase umso länger.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen