LeserInnenbriefe zu verschiedenen Themen

Wieso „Spinner“?

betr.: „Die unverträgliche Gesellschaft“, taz vom 1./2. 8. 15

Selten schreibe ich Lesebriefe, aber bei der Lektüre Ihres kurzweilig geschriebenen und informativen Artikels kann ich nun nicht anders. Als Psychologin und Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie) ärgert mich zunächst, dass Sie in Ihrem Artikel wiederholt von „Spinnern“ (in Variationen) reden, deren Reizdarmsyndrom sich nun in der Tat immer noch nicht durch eine Nahrungsmittelunverträglichkeit endlich (!) erklären lässt. Damit zeigen Sie anscheinend dieselbe Haltung, die Ihnen lange auch begegnet ist. Eine Haltung der Abwertung. Ihre „Spinner“ leiden vielleicht an einer somatoformen oder auch einer Angststörung. Auch das sind ernstzunehmende Erkrankungen. Was Ihre Formulierungen leider stabilisieren, ist die Haltung, dass nur körperliche Erkrankungen richtige Erkrankungen sind.

Aber: Psychische Störungen sind leider genauso ernst und mitunter tödlich – ich denke an Essstörungen wie die Anorexie oder Depressionen (Suizidgefahr). Meinen Sie, den Menschen mit Reizdarmsyndrom, Hypochondrie etc. macht das Spaß, zum 50. Arzt zu gehen und dieselbe Entwertung zu hören? Menschen mit Krankheitsangst (Hypochondrie) erleben subjektiv in der Tat mitunter Todesangst, das ist nicht lustig. ANKE HOFMANN, Obersasbach

Merkels Waterloo

betr.: „Freitagskasino: Geld ist nur Geld“, taz vom 31. 7. 15

Der Ausstieg des IWF aus dem neuen Griechenlandpaket bedeutet das Waterloo für Frau Merkels Euro-Rettungsplan. Vor 5 Jahren folgte sie dem Drängen der damaligen französischen Finanzministerin Lagarde, das Beistandsverbot des Maastricht-Vertrags zu brechen und die Schulden Griechenlands bei ausländischen (hauptsächlich französischen) Banken zu übernehmen. Dieselbe Frau Lagarde zieht jetzt als IWF-Chefin den Stecker, weil sie Griechenland als Fass ohne Boden betrachtet, und verlangt einen Schuldenerlass. Dem kann aber Herr Schäuble nicht zustimmen, weil er dann die bisher in Fonds und Bürgschaften versteckten Schulden offen ausweisen und das Trugbild seiner „schwarzen Null“ im Bundeshaushalt demontieren müsste. Bisher wurden die deutschen Steuerzahler für die Griechenlandrettung mit 100 Milliarden Euro belastet, zusätzlich verlieren die Sparer 200 Milliarden Euro durch die Nullzinspolitik der EZB. Die Altersvorsorge des Mittelstands wird zur Maku­latur. BRUNO HAKE, Wiesbaden

Real existierender Kapitalismus

betr.: „Die Börse ist Griechenlands geringstes Problem“, taz vom 4. 8. 15

So gut mir Robert Misiks Kommentare meist tun, so enthält seine Griechenlandanalyse einen fatalen Fehler: den Glauben, ein Euro-angepasstes Verhalten würde eine Lösungsperspektive bieten. Selbst wenn es wie gehofft kommen würde (Vereinbarungen unterschreiben, deren Papierwert darin besteht, sie in der Praxis zu vergessen), hilft dies höchstens kurzfristig. In einem Vergleich: Wie Goethes Faust sein Leben an den Teufel verkauft, um etwas Liebe und noch mehr Faktenwissen zu bekommen, unterschreibt Tsipras für den Staat Griechenland Verträge, um etwas Zeit und noch mehr Schulden einzuhandeln.

So vernünftig dies augenblicklich sein mag, so perspektivlos bleibt es, denn die Hoffnung auf Leben in europäischen ökonomischen, sozialen und geistigen Standards blendet aus, dass diese Zivilisation auf Ausbeutung anderer basiert. Ohne Aufhebung des real existierenden Kapitalismus und ohne Überwindung des Glaubens, die derzeitig praktizierten Staaten (beziehungsweise „Staatengemeinschaften“) bleiben (bekannte und zu entwickelnde) Alternativen ausgeklammert. GEORG FISCHER, Schefflenz