: Fragwürdige Verrenkungskünste
FOTOAUSSTELLUNG Der österreichische Regisseur Ulrich Seidl steht mit seinen Filmen für drastische, schwer erträgliche Bilder. Das C/O Berlin zeigt nun überwiegend Filmstills aus Seidls Werk – und reduziert es damit
VON BERT REBHANDL
Der österreichische Filmemacher Ulrich Seidl war immer schon wesentlich ein Fotograf an der Grenze zwischen unbewegtem und bewegtem Bild. Das ist all jenen Einstellungen in seinen Filmen zu entnehmen, in denen Menschen frontal vor der Kamera sitzen, häufig schweigend, sich dem Blick aussetzend. Die Hintergründe sind dabei niemals spontan gewählt, denn die Bilder zeugen von ihrer eigenen Komponiertheit. Zugleich bekommen die Lebenswelten eine ästhetische Struktur.
Es ist eine naheliegende Idee, Ulrich Seidl auch einmal tatsächlich als Fotografen zu präsentieren, wie es im C/O Berlin nun geschieht. Parallel zum aktuellen Kinofilm Seidls, „Paradies: Liebe“, ist nun eine Fotoausstellung von ihm zu sehen. „Paradies. Glaube. Liebe. Hoffnung“ ist der Titel der Schau.
Ein Raum im ersten Stock des Hauses in der Oranienburger Straße ist Seidl gewidmet: drei Wände, drei Filme, dazu ein besonders markantes Bild zur Begrüßung. Es zeigt zwei afrikanische Bedienstete, die vor einer Wand stehen. In dieser ist ein Guckkasten ausgespart, von Vorhängen gesäumt. Doch dort, wo sich nun eine Bühne öffnen sollte, befindet sich ein Bild, das diesen Raum verschließt: Ein Gemälde eines Schiffes auf hoher See, und die beiden Männer stehen gewissermaßen Spalier für dieses Bild. Es ist eine beziehungsreiche, komplexe Szene, an der die für Seidl charakteristische Symmetrie auffällt.
Von der religiösen Architektur, die in seinem Dokumentarfilm „Jesus, du weißt“ eine entscheidende Rolle spielt, hat Seidl unter anderem ein Ordnungsprinzip für seine Weltsicht abgeleitet, das im Grunde immer dort, wo einst das göttliche Auge saß, die Kamera des Filmemachers einsetzt. Diesem Manöver, das man in bester Ambivalenz als Säkularisierung alter Machtbeziehungen und als Relikt eines kunstreligiösen Pathos begreifen kann, entspricht in den Filmen von Seidl zumeist noch ein anderes Prinzip: längere, improvisierte Szenen mit Handkamera, in denen sich die Physis und Geistesgegenwart seiner Schauspieler sich entfalten können.
Dieses Element fällt in der Fotoausstellung naturgemäß weg. Die Folge: Im C/O Berlin gibt es einen einseitigen Ulrich Seidl zu sehen, eine Reduktion seines Werks. Um es gleich direkt zu sagen: eine Reduktion auf die fragwürdigsten Aspekte des Genießens, zu denen es einlädt.
Dass ein Großteil der gezeigten Bilder mit den Pressefotos der drei Filme identisch ist, verleiht der Ausstellung zudem den Charakter eines Etikettenschwindels, denn hier wird ausgerechnet das visuelle Material zum Gegenstand der Kontemplation, das in anderer Funktion der kalkulierten Aufmerksamkeitssteuerung im massenmedialen Zusammenhang dient.
Was dann beim Abschreiten der drei Wände mit beinahe schockierender Deutlichkeit ins Auge fällt, ist Seidls Hang zur Karikatur. Der kenianische Mann, der sich am Sandstrand für die österreichische Touristin zum Verrenkungskünstler macht, ist sicher ein sinnfälliges Bild für die Hierarchien, die der moderne Tourismus mit sich bringt. Es ist aber eben auch ein Regie-Einfall, der, aus der sozialen und erfahrungshaften Bewegung des Films herausgelöst, etwas unangenehm Dressiertes hat. Der Schauspieler macht den „Kasperl“ ja nicht nur für die Frau im Film, sondern auch für den Regisseur, und plötzlich werden die Differenzen in der Conditio humana, von der Seidl im Grunde immerzu ausgeht, schneidend.
Mit Seidls Aktualisierungen der Traditionen des Stilllebens und der Allegorie hat das Kino wichtige Traditionen zurückgewonnen, die in der europäischen Nachkriegsmoderne bisher zu wenig – oder wenn, auf zu akademische Art und Weise – berücksichtigt worden waren. Doch zeigt die Fotoausstellung, dass es einen gravierenden Unterschied macht, ob diese Aktualisierung im Kontext des Bewegtbildes geschieht – oder ob man sie im angestammtem Kontext und vom Filmemacher intendierten Kontext stehen lässt.
Die Filmbilder, die er bei C/O aus ihrem Kontext gelöst hat, sind überwiegend Stills, die nicht durch ihren Bedeutungsreichtum überzeugen, sondern durch fragwürdige Pointierung. Sie verweisen auf das, was auch das Grenzwertige an Ulrich Seidls Filmen ist: eine Weltsicht, die von den kolonialen oder naturhistorischen Sensationen und Bestiarien einer Zeit vor dem Kino nicht immer weit genug entfernt ist.
■ C/O Berlin, Oranienburger Straße 35/36, Mitte, bis 17. März