: Raus aus dem Elefantengehege
DOKU Der Zweiteiler „Die YouTube-Story“ (20 Uhr, ZDFinfo) bricht mit der gängigen Formel: „US-Unternehmen + Internet = das Böse schlechthin“. Zum Glück
von Sven Sakowitz
Der erste Clip hieß „Me at the zoo“, dauerte nur 19 Sekunden, und man sah darin den YouTube-Mitbegründer Jawed Karim vor einem Elefantengehege ein paar belanglose Sätze sprechen. Heute, zehn Jahre später, gehört die Videoplattform YouTube zu Google, hat mehr als eine Milliarde Nutzer und ist eine der wichtigsten Internet-Seiten überhaupt. Unternehmensangaben zufolge werden dort pro Minute 300 Stunden Videomaterial hochgeladen.
Für seinen sehenswerten Doku-Zweiteiler „Die YouTube-Story“ hat der Journalist Tim Klimeš das Phänomen in Deutschland und den USA umfassend betrachtet. „YouTube ist hierzulande an einem Punkt, an dem das Ganze in den Mainstream schwappt“, sagt Klimeš. „Es sind entscheidende Monate für die weitere Entwicklung. Mich interessiert abseits von Nutzerzahlen und Statistiken viel mehr die Frage, welche Auswirkungen YouTube auf die Gesellschaft hat.“
Klimeš hat zwei große Bereiche identifiziert, nach denen die Doku auch thematisch aufgeteilt ist. Im etwas bunteren ersten Teil geht es um die Entertainment-Branche, im zweiten um das Thema Politik. Angenehm fällt sofort auf, dass Klimeš nicht die bei diesem Thema so beliebte Gleichung „US-Unternehmen + Internet = das Böse schlechthin“ aufmacht, sondern die Faszination von YouTube nachempfindet und gleichzeitig mit kühlem Kopf die richtigen Fragen stellt.
Als ursächlich für den Boom im Unterhaltungsbereich des Portals sieht er die Einführung des sogenannten Partnerprogrammes, also die Entscheidung, Kreative an den Werbeeinnahmen zu beteiligen. Dies habe zum Entstehen von YouTube-Stars auch in Deutschland geführt. Klimeš besuchte während seiner Recherche die VideoDays, die Messe der YouTube-Promis. Die meisten Menschen, die älter als 30 sind, dürften von denen niemanden kennen und sich umso mehr wundern, was für eine Euphorie sie bei ihren Anhängern auslösen.
Die wichtigere Debatte stößt die Doku im zweiten Teil an. „Der große Fragenkomplex lautet vereinfacht gesagt: Was darf bei YouTube alles gezeigt werden und wer entscheidet das?“, fasst Klimeš zusammen. „Für Einzelfälle die richtigen Antworten zu geben, scheint mir eher einfach zu sein“, sagt Klimeš. Natürlich müsse zum Beispiel ein Enthauptungsvideo des Islamischen Staates gelöscht werden. Aber aus Einzelfallentscheidungen könne man keine Regularien formulieren. „Das ist eine spannende und schwierige Debatte, die gerade erst beginnt. Die einen sind für vollkommene Offenheit, die anderen wollen Regulierung.“
In der Doku äußern sich dazu unter anderem die Internet-Theoretiker Jeff Jarvis und Andrew Keen. Diese schillernden Figuren argumentieren manchem vielleicht zu plakativ, ihre Wahl macht den Konflikt aber gut verständlich. Ohnehin hat Klimeš ein Talent dafür, Internet-Themen lebendig und anschaulich aufzubereiten. Das bewies er bereits mit dem Kurzformat „140 Sekunden“, in welchem er für das ZDFinfo-Magazin „Elektrischer Reporter“ Geschichten über die Menschen hinter bekannt gewordenen Tweets erzählte und dafür 2012 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet wurde.
„Es wird oft vergessen, dass hinter allem, was wir im Internet sehen, Menschen stehen“, sagt Klimeš. „Hinter jedem Tweet, hinter jedem Posting. Deshalb sollten wir uns als Journalisten beim Thema Digitalisierung natürlich mit diesen Menschen auseinandersetzen. Der größte Fehler ist, sich vor die Bildschirme zurückzuziehen und – als Fernsehmacher beispielsweise – in erster Linie Monitore abzufilmen. Das macht es zwar einfacher, aber nicht wahrhaftiger.“
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