SO‘N SCHIET
: Verpisstes Land

In Deutschland muss man dafür bezahlen, aufs Klo zu dürfen – oder es wird einem zumindest deutlich nahegelegt. Die öffentliche Hand ist nicht willens, eine anständige Verrichtung der Notdurft zu ermöglichen. Lieber lässt sie zu, dass andere damit Geschäfte machen

Altes Problem: Die Schließung öffentlicher Toiletten regte einen Wirt in Heiligenhafen schon 1998 auf (rechts oben). In Bremen gab es immerhin bis vor kurzem eine zentrale Toilette auf dem Domshof, die nicht in privater Hand war (rechts unten), die Zukunft des Ortes ist ungewiss. Die geschlossenen öffentlichen Klos werden in Hannover auch als Probenräume genutzt (links oben), in Schwerin kostet ein Klogang nur 30 Cent (links Mitte). Das Erfolgsmodell „nette Toilette“ wird inzwischen auch von der Stadt Lübeck propagiert (links unten)   Fotos: dpa

Aufs Klo zu gehen, ist ein Menschenrecht – sollte man meinen, schließlich geht es ja darum „seine Notdurft“ zu verrichten. Doch in Deutschland, das sich eines der aufwendigsten Sozialsysteme der Welt leistet, muss man für dieses Recht bezahlen oder bei einer Kneipe mit im Schoß zusammengepressten Händen betteln.

Es ist wie ein Paradebeispiel für den Neoliberalismus, der nach der Wende um sich gegriffen hat. Dass man fürs Pinkeln bezahlen muss, steht für den Rückzug des Staates, die Ausdehnung der Geschäftemacherei auf immer größere Lebensbereiche und die Prekarisierung der Beschäftigten. Selbst in Kneipen und Kaufhäusern sitzt mittlerweile jemand, der mit vorwurfsvollem Bilck um einen Obolus bittet.

In den 1980er-Jahren war es ein Spezifikum der DDR, immerhin eines Staates im Niedergang, dass auf den Klos der Autobahnraststätten jemand die Hand aufhielt. Heute gilt das im ganzen wiedervereinigten Land, und weil dort Kapitalismus herrscht, gehört die Betreiberfirma Sanifair letztlich zwei internationalen Kapitalgesellschaften mit Sitz auf den britischen Kanalinseln, wie ein Kollege der Frankfurter Allgemeinen Zeitung recherchiert hat.

Sanifair hat das Geschäft professionalisiert. Wer in deren Toiletten-Oasen aufs Klo geht, erhält einen Wert-Bon, für den er die überteuerten Produkte der Autobahnraststätte kaufen kann. Ein schlaues Modell, das nach Ansicht der Betreiber aber offenbar noch nicht genug abwirft. 2010 hat Sanifair den Preis mal eben um 40 Prozent erhöht. Den Zuschlag kann man nicht einlösen.

Wo die öffentliche Hand solche Örtchen selbst betreibt, liefert sie regelmäßig den Beweis dafür, dass es Private angeblich besser können – beinahe so, als sei das Absicht. Zwar hat der Staat in den vergangenen Jahren Edelstahl-Toiletten an einfachen Autobahn-Parkplätzen gebaut, die wenig pflegeaufwendig sind, doch auch hier könnte der Lastwagenfahrer, der schließlich mit einer Fernstraßenmaut zur Kasse gebeten wird, einen besseren Service erwarten. Kein Wunder, dass die Wälder immer noch voll sind mit Klopapier.

Oder Hamburg: Die Stadt hat in den vergangen Jahren zwar tatsächlich das eine oder andere, sogar schicke Pissoir gebaut, sie zeigt sich aber unfähig, diese sauber zu halten. Mittlerweile stellt sie sogar Dixie-Klos auf, wo sich Trinkergruppen treffen. Das ist ein Fortschritt.

Der grundlegende Trend ist seit zwei Jahrzehnten freilich ein anderer. Was haben sich die Kommunen nicht alles einfallen lassen, um die lästigen Klos loszuwerden: Sie verpachtetenToilettenhäuschen an Kioskbetreiber. In den Innenstädten ließen sie sich selbst reinigende, zu bezahlende Toilettenautomaten aufstellen – und wundern sich, dass Männer an Wände und in Ecken pinkeln. Denen fällt das nun mal leichter als Frauen.

Ab und zu macht die eine oder andere Boulevardzeitung daraus eine Geschichte und zeigt Fotos von bösen Wild-Pinklern. Furore machte die Idee der Interessengemeinschaft St. Pauli, eine extrem hydrophobe Wandfarbe aufzutragen, die die Pisse zurückspritzen lässt, wenn ein Kiez-Besucher dagegen pinkelt. Sehr witzig!

Die öffentliche Hand, das Gemeinwesen zieht sich zurück und lässt den Bürger extra bezahlen. Das ist eigentlich unsinnig, weil alle mal auf die Toilette müssen und die entsprechende Dienstleistung sich damit musterhaft für eine steuerliche Finanzierung anbietet. Zugleich ließe sich beim Toilettengang, wenn auch etwas hochtrabend, von „Daseinsvorsorge“ sprechen, die der Staat gefälligst zu übernehmen hat.

Gernot Knödler