: Tierisch gute Kunst
Ausstellung Im Kupferstichkabinett haben zurzeit sogar Hunde Zutritt. Sollen doch auch sie in den Genuss der Sommerausstellung kommen, die vom Hund in der Kunst handelt. Es gilt der Imperativ „Tiefer hängen!“
von Brigitte Werneburg
Manche der Bilder der Ausstellung hängen schon ziemlich tief, so auf Kniehöhe. Für menschliche Betrachter ist das nichts, wohl aber für Hunde. Die dürfen zum ersten Mal in die heiligen Hallen der Staatlichen Museen zu Berlin. Das ist eine hervorragende Neuerung, sind doch viele Hunde längst schon versierte Galeriegänger und Kenner der zeitgenössischen Kunst. Ein bisschen Einblick in die Kunstgeschichte der letzten 500 Jahre kann da nicht schaden, zumal eine Auswahl hervorragender Künstler wie Rembrandt, Dürer, Picasso, Tiepolo, Goya, Dix, Menzel oder Polke und Roth gezeigt wird.
Sie alle sind Hundefreunde und als solche Teil der diesjährigen Sommerausstellung des Kupferstichkabinetts. Wie im vorangegangenen Jahr möchte man den Besuchern und Besucherinnen ein besonders attraktives und populäres Thema der Kunst- und Kulturgeschichte präsentieren. Nachdem wir also schon mal baden gegangen sind, kommen wir jetzt auf den Hund. Zusammen mit dem Hund. Wofür es spezielle, sehr amüsante Führungen gibt wie unter tagesschau.de im Netz nachgeschaut werden kann. Ohne Weiteres macht das Filmchen klar, warum der Hund das wichtigste Sujet der Kunst ist, wie Heinrich Schulze Altcappenberg, der Direktor des Kupferstichkabinetts, erklärt – nach dem Menschen selbstverständlich. Denn wo immer der Hund auftaucht, wird es sehr lebendig.
Treue Begleiter
Von jeher begleitet er den Menschen als Jagd-, Schäfer-, Rettungs- und Spürhund, als Wach-, Zieh- und Schoßhund, bis er schließlich zentraler Bestandteil der bürgerlichen Lebens- und Gefühlskultur wird, gleichgültig ob Rassehund oder Promenadenmischung. Dieses Motiv der sentimentalen Verbundenheit scheint schon in der Bibel zu finden sein, betrachtet man den Kupferstich, den Hendrick Goudt 1608 nach einem Gemälde von Adam Elsheimer anfertigte. Dort zögert ein kleines Hündchen am linken Bildrand, auf einen im Wasser liegenden Stein zu springen, um seinem Herrn, dem kleinen Tobias zu folgen, der für den Vater Schulden eintreiben muss. Neben dem treuen Hund, der ihm glücklich bis zum Ende der Reise folgt, begleitet noch der Erzengel Raphael den kleinen Tobias. Auch Claude Lorrain hat das Motiv 1664 aufs Blatt gebracht. Und 1920 noch einmal Max Liebermann, der in seiner „Rückkehr des jungen Tobias“ die Begrüßung des treuen Hunds durch den Vater ins Zentrum rückt.
Die Künstler, die den Hund in allen Lebenslagen darstellen, ruhend, kämpfend, selbst kackend wie bei Rembrandts „Barmherzigen Samariter“ 1633, beobachten ihn interessanterweise kaum jemals bei der Tätigkeit, der er am ausgiebigsten frönt: beim Schnüffeln. Nur Anthonie van Borssom hält 1660 das Motiv in einer Federzeichnung fest, freilich in der etwas anrüchigen Situation von „Mann und Hund bei einem Abtritthäuschen“. Auch Nanne Meyers Zeichnung auf dem Cover eines populärwissenschaftlichen Büchleins mit dem Titel „Können Tiere denken?“ ließe sich als Studie eines schnüffelnden Hundes interpretieren, laufen doch gestrichelte Linien durch die Nase zum Gehirn.
Die rund 50 Ölskizzen, Aquarelle, Druckgrafiken und Zeichnungen der Ausstellung sind in sechs Kapitel sortiert, wobei es zunächst um das Porträt des Hundes geht, darum, seinen Charakter und sein Temperament zu treffen, seine Eleganz oder auch Arroganz. Dann interessiert, wie der Hund sich in jedes malerische Sujet einpasst, in das intimste Interieur genauso gut wie in die offene Landschaft, die Allegorie oder das Historienbild. Über die hohe empathische Qualität der Körpersignale des Hundes lassen sich im Bild eine Vielzahl von Gefühlen aufrufen, seien sie eher symbolischer Natur oder direkter Appell an unser Mitgefühl wie bei dem erschöpft am Boden liegenden Spannhund, dem Adolf Menzel noch eine freilaufende Katze beigesellt.
Und weil der Hund in der Ausstellung erstmals im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, gibt es auch Entdeckungen zu machen. Im Kapitel Künstler und Hund lässt sich der „Schlafende Totengräber“, wie das Blatt bislang tituliert war, nun genauer als Selbstporträt des Künstlers Carl Blechen mit seinem Begleithund bestimmen. Es zeigt dem Maler, wie er während seiner Italienreise vor einem Beinhaus ausruht, den Hund zwischen den Beinen. Herr und Hund, aber auch Frau und Kind und Hund führen in einem weiteren Kapitel zu reizvollen Konstellationen etwa bei Stefano della Bella, der sieht, wie ein Kind einen Welpen über die Schulter trägt oder wie es einem Hund das Sitzen beibringt.
Britische Vorreiter
William Nicholsons Lithographie „Queen Victoria mit Hund“ zeigt dann kein „Idyll mit deutschen Hunden“, wie Neil MacGregor, Direktor des British Museum und Gründungsintendant des Humboldtforums, vor einem Monat seine Queen’s Lecture anlässlich des Besuchs von Queen Elizabeth II. betitelte. Denn es ist nicht ihr deutscher Dachshund „Daeckel“ zu sehen, sondern ein Scotch Terrier. MacGregor erkennt in der Tier-, genauer noch der Hundeliebe, eine typisch britische Nationaleigenschaft. Daher ist Großbritannien das erste Land der Welt, das anerkennt, dass Tiere wie Menschen Rechte haben. Und Anspruch auf Schutz um ihrer selbst willen und nicht, weil sie jemandes Eigentum sind.
Da denkt man an Wolfgang Petricks Farblithografie von 1969. „Hunde“ zeigt in der Abteilung „Auf den Hund gekommen“ zwei gequälte, an Schläuche angeschlossene, aufgespießte Laborhunde. Mit Sigmar Polkes „Kölner Bettler II“ (1972) und Otto Dix’ berühmter Radierung von 1920, auf der ein vorbeilaufender Dackel das Bein hebt und auf die Holzprothese des kriegsversehrten „Streichholzhändlers“ pinkelt, ist es ein eher dunkler, nachdenklicher Schluss, mit dem man aus der Ausstellung entlassen wird.
Bis 20. September, Kupferstichkabinett, Matthäikirchplatz, Di., Mi., Fr. 10–18 Uhr, Do. 10–20 Uhr, Sa., So. 11–18 Uhr, Katalog 14,90 Euro. Nächste Hundeführungen: 11. August 10 Uhr und 12. August 16.30 Uhr
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