Berliner Szene: Höfische Momente
Den Stil bewahren
Gestern früh war es. Beladen mit zwei Tüten Altglas entert man den ersten Hof des Neuköllner Mietshauses, das als Zuhause dient. Auftritt Flaschensammler: Bügelfalte und eigener Pkw, ein beflissener und zugleich gejagter Blick steht eingeschrieben in sein jungenhaft wirkendes Gesicht. Man grüßt sich stets freundlich.
Der Mann hat einem auch schon mal den Kofferraum seines beigefarbenen Opels gezeigt und sein Sortier- und Anfahrtssystem für die Märkte erklärt. Er hat Stil und würde nie die Pfandwasserflasche mitnehmen, die neben dem Futterteller der Katze Minka geparkt ist. Er bekommt die prall gefüllten Tüten in die Hand. Der Mann verbeugt sich und verlässt den Hof, fast scheint es, als würde er in Demut vor einem rückwärtsgehen.
Auf der Suche nach der Katze Minka, die im zweiten Hof ihr Versteck hat, ertönt aus dem Erdgeschoss ein leichtes Summen. Die Fenster sind offen, und wenig diskret guckt man rein. Ein Bild von Mann, um dieses total unkorrekte, aber schöne Bild zu bemühen, ein Bild von Mann steht da in Gestalt eines buddhistischen Mönchs aus Asien, um ihn herum stehen weiße mittelalte Frauen und starren ihn beseelt an.
Man ruft ganz laut „Minkaaaa!“, und die Katze springt aus einem Strauch. Eine Frau steht auf und schließt die Fenster.
In dem Moment betritt ein Hund mit Halterin den Hof, die Katze platziert sich auf Abstand, mutig ihr Revier verteidigend und Angriffslust im Blick. Der Hund ist ziemlich groß und nougatfarben, er erinnert an einen Königspudel, doch die Frau berichtet, er sei aus einem Wurf von Trüffelhunden. Und der einzige aus dem Wurf, den Trüffel nicht interessierten. Sein Name sei Jack, Jack the Ripper. Die Katze Minka springt wieder in den Strauch. Harriet Wolff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen