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Das Ende der Märchenstunde

American Pie Boston zieht seine Bewerbung für die Olympischen Spiele 2024 zurück, weil Stadtpolitiker und große Teile der Bevölkerung immense Unkosten fürchten

Traumgebilde: In Boston sollte dieses Olympiastadion gebaut werden Foto: ap

von Thomas Winkler

Und da waren’s nur noch vier. Oder doch fünf? Oder vielleicht bald sogar sechs? Nach der Entscheidung des amerikanischen Olympischen Komitees, die Bewerbung von Boston für die Sommerspiele 2024 zurückzuziehen, haben die Kandidatenstädte Paris, Rom, Hamburg und Budapest erst einmal einen Konkurrenten weniger. Aber To­ron­to könnte bald ins Rennen einsteigen, und Boston mit seiner chaotischen Bewerbung und einer kaum vorhanden Unterstützung in der Bevölkerung wird wohl bald von dem ungleich stärkeren Kandidaten Los Angeles ersetzt werden.

Auslöser der sich überschlagenden Ereignisse am Montag war eine überraschend einberufene Pressekonferenz des Bostoner Bürgermeisters Marty Walsh. Der verkündete, dass er sich außerstande sehe, eine Verpflichtung zu unterschreiben, dass Boston im Falle eines Zuschlags für finanzielle Verluste bei der Organisation der Spiele geradestehen würde. Eine solche Zusage aber verlangt das Internationale Olympische Komitee (IOC). „Wenn es nötig ist, eine solche Garantie heute zu unterschreiben“, so Walsh, „dann wird Boston sich nicht länger um die Olympischen Spiele und die Paralympics 2024 bewerben.“

Allerdings kam Walsh mit seiner Pressekonferenz wohl dem United States Olympic Committee (Usoc) zuvor. Das hatte sich, so Informationen aus der Organisation zufolge, bereits entschlossen, die Konsequenz aus einer unglücklich verlaufenden Bewerbung zu ziehen, die Kandidatur von Boston zu beenden und eine neue Stadt in Stellung für 2024 zu bringen. Den Olympia-Befürwortern in Boston war es nie gelungen, eine Mehrheit in der Stadt für das Sportereignis zu begeistern. Auch der Gouverneur von Massachusetts unterstützte die Kandidatur nur halbherzig und wollte – trotz massiven Drucks des Usoc – erst einen unabhängigen Prüfbericht abwarten, bevor er sich zu Olympia bekannte.

Stattdessen entstand, getragen von den sozialen Netzwerken, eine starke No-Olympics-Bewegung, aus der stets Kritik an der mit Geldern aus der Wirtschaft finanzierten Bewerbungsorganisation „Boston 2024“ laut wurde. Die glänzte mit mangelnder Transparenz, Ineffizienz und unverschämt hohen Gehältern für ihre Offiziellen. Während der kaum sieben Monate dauernden Kampagne entstand bisweilen der Eindruck, eine Gruppe lokaler Wirtschaftsgrößen kungelt hinter den Kulissen um mögliche Profite, will das Risiko aber abwälzen auf die Steuerzahler. Die vor allem zu schützen, führte Bürgermeister Walsh, der bis vor Kurzem noch zu den größten Olympia-Befürwortern gehört hatte, als Erklärung für seine Entscheidung an. Vor Kurzem hatte er zugeben müssen, dass die Umsetzung des Versprechens, die Spiele seien ohne öffentliche Gelder zu organisieren, niemals realistisch war.

In Boston hat genau jene Strategie versagt, mit der Sportfunktionäre und politisch Verantwortliche schon seit Jahrzehnten versuchen, der Bevölkerung die millionenschweren Bewerbungen schmackhaft zu machen: Dass Großereignisse wie Olympische Spiele oder Fußball-Weltmeisterschaften zwar eine Menge Geld kosten, aber auf lange Sicht der Infrastruktur und den Zukunftsperspektiven der Stadt zugutekommen. Ein Ammenmärchen, an das angesichts verrottender Sportstätten und immer noch abzuzahlender Schulden in Athen, Südafrika und anderen Ländern, in denen der Sportzirkus in den vergangenen Jahrzehnten Station gemacht hat, kaum noch jemand glaubt. Eine Propa­gan­da­legende, die Bürgermeister Walsh seinen Wählern nicht mehr länger verkaufen wollte. Als Boston im Januar gegen die Konkurrenz Los Angeles, San Francisco und Washington den Zuschlag zur Kandidatur erhielt, so Walsh in der Pressekonferenz am Montag, galten die Spiele noch „als Chance, das Boston der Zukunft zu bauen“. Nun aber sehe er sich außerstande, einen Verpflichtung zu unterschreiben, die „die Zukunft der Stadt mit einer Hypothek belasten“ würde.

Das scheint Los Angeles nicht abzuschrecken. Eric Garcetti, Bürgermeister der kalifornischen Metropole, die bereits 1932 und 1984 Sommerspiele ausrichtete, signalisierte bereits Interesse, einzuspringen: „Ich glaube weiter daran, dass Los Angeles die ideale Olympia­stadt ist.“ Das Usoc erwähnt in seiner Stellungnahme zwar nicht ausdrücklich Los Angeles, teilt aber mit, dass man sich beeilen werde, zum Meldeschluss am 15. September einen anderen US-amerikanischen Kandidaten zu präsentieren.

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