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Archiv-Artikel

Das Mädchen und der Zoo

SEHNSUCHTSORT In „Die Nacht der Giraffe“ erzählt der indonesische Regisseur Edwin im märchenhaft Stil von Verlust und Heimat im Tiergarten von Jakarta, der durch seine Kamera zu einem poetischen Mikrokosmos wird

VON WILFRIED HIPPEN

Eine Elefantenhaut ist alles andere als das sprichwörtliche „dicke Fell“. In „Kebun Binatang“ (so der indonesische Originaltitel) gibt es eine bezaubernde Nahaufnahme von der Haut eines Elefanten, die gerade von den ersten Tropfen eines Regenschauers benetzt wird. Und dabei sieht sie so delikat aus wie feinstes Pergament. Der indonesische Filmemacher Edwin hat sich im Zoo von Jakarta auf die Suche nach der Schönheit gemacht. Tierschützer mag irritieren oder gar empören, dass hier jede Kritik an der beengten und sicher nicht immer artgerechten Haltung der Tiere fehlt, aber Edwin hat keinen realistischen Film über den riesigen Rangunan Zoo gemacht, sondern besingt diesen als einen paradiesischen Sehnsuchtsort. Dort wird in den ersten Einstellungen ein kleines Mädchen im gelben Kleid ausgesetzt. Obwohl sie nachts in der ihr fremden Umgebung nach ihrem Vater ruft, hat sie offensichtlich keine Angst. Mit Vertrauen und Neugier erkundet sie die dunklen Wege und trifft auf die einzige Giraffe des Zoos, in der sie sofort eine Art Seelenverwandte erkennt.

Das kleine Mädchen wird vom Zoo adoptiert – nicht von einzelnen dort Beschäftigten, sondern vom Zoo als einer Einheit, zu der auch die Tiere, Pflanzen, Gäste und dort schlafenden Obdachlosen gehören. Nach einem Zeitsprung sehen wir sie als eine junge Frau, die die Tiere betreut, Führungen für die Besucher leitet und scheinbar völlig zufrieden damit ist, selber Teil des Zoos geworden zu sein. Dieser füllt ihren gesamten Horizont aus, man hört sie kein Wort sagen, das nicht mit den Tieren, den anderen Menschen im Zoo oder dessen Organisation zu tun hat. Und auch der Film selber bleibt in den ersten zwei Dritteln sowohl örtlich wie auch thematisch streng auf den Zoo begrenzt.

In Zwischentiteln werden Definitionen von Fachbegriffen wie dem „Ex-situ-Verfahren“ oder „endemisch“ geliefert, die auf einer zweiten Ebene auch immer auf die Entwicklung der Protagonistin hinweisen. Denn obwohl Edwin mit sichtlicher Entdeckungsfreude mit seiner Kamera den Zoo nach interessanten und poetischen Bilden durchforscht, und dabei besonders gerne Kinder auf die Tiere und die Tiere auf die Menschen blicken lässt, obwohl er die dort Arbeitenden und Lebenden gerne über die Geschichte, die Legenden (wie jene vom „mitfühlenden Tiger“) und kuriosen Anekdoten erzählen lässt, verliert er doch nie die junge Frau mit ihrer seltsamen Mischung aus Gelassenheit und Melancholie aus den Augen. Teil des riesigen Zoos ist auch ein Vergnügungspark, und hier lernt sie (nachdem ein Zwischentitel die Definition von „Aussiedlung“ liefert) einen jungen Zauberer in Cowboykostüm kennen, der sie fasziniert. Ihm folgt sie in der Verkleidung einer Indianerin mit Lederkostüm und einer Feder in Haar und lässt sich als seine Assistentin mit Messern bewerfen. Seine Tricks inszeniert Edwin mit einer rührenden Einfachheit, indem er Lichtpunkte auftauchen, wandern und verschwinden lässt oder Tee in Wasser verwandelt. Auch die eher einseitige Liebesgeschichte wird von Edwin ohne jeden melodramatischen Effekt inszeniert, und nachdem der Zauberer sich bei einem seiner Tricks buchstäblich in Luft auflöste, merkt man ihr diesen Verlust kaum an. Doch sie ist im Zoo nicht mehr so heimisch wie zuvor und verlässt ihn, und beginnt in einem Massagesalon zu arbeiten.

Und auch hier vermeidet Edwin jeden realistisch-sozialkritischen Blick. Die junge Frau betrachtet und behandelt nun Menschen so wie die Tiere, um die sie sich im Zoo gekümmert hat. Sie wird nicht bedrängt, belästigt oder missbraucht. Auch wenn sie ihr Paradies verlassen hat, scheint dessen Kraft sie weiter zu beschützten. Und schließlich trifft sie ihre erste wirklich freie Entscheidung und kann so der Giraffe in der letzten Einstellung des Films auf einer neuen Ebene begegnen. Edwins Stärke sind seine poetischen, surreal wirkenden Bilder, durch die der Zoo von Jakarta zu einem eher erträumten als realen Ort wird.