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Hotel Resilient

Schlagloch von Ilija Trojanow Man muss die Welt einfach aushalten, heißt es immer. Stimmt das wirklich?

Foto: Archiv
Ilija Trojanow

ist Schriftsteller und Weltensammler. Letzte Buchveröffentlichungen: „Der überflüssige Mensch: Unruhe bewahren“ (Residenz Verlag 2013) und „Stadt der Bücher“mit Anja Bonhof (Langen/Müller 2012).

Als Nasruddin Hodscha etwas auf dem Dach zu reparieren hatte, rutschte er aus und fiel über die Kante hinab. Ein Nachbar blickte zufällig aus seinem Fenster und rief dem fallenden Nasruddin zu: Wie geht’s? Nasruddin antwortete, den Blick fest auf den auf ihn zurasenden Boden gerichtet: So weit so gut.

Selbst Optimismus kann man übertreiben, würden manche sagen. Aber vielleicht hat Nasruddin gar nicht so unrecht. Wer eh schon weiß, dass er in den Tod stürzt, kann den Augenblick vor dem fatalen Ereignis gutheißen, losgelöst von dem endgültigen Resultat. Momentan, könnte er sich einreden, ist doch alles in Ordnung. Ein wenig Flugwind, ein spannender Ausblick, ein freundlicher Nachbar – was will man mehr? Er könnte jene, die ihn lautstark darauf hinweisen, dass er zerschellen wird, als Apokalyptiker und Miesmacher brandmarken. Wieso gleich grundsätzlich werden? Ist es in so einer Situation nicht besser, mit Nasruddin Hodscha und Angela Merkel „auf Sicht zu fahren“ (beziehungsweise fliegen)? Wer wird denn gleich in Panik geraten?

Der unumgängliche Absturz

Die Welt heute scheint voller Nasruddin Hodschas zu sein. Etwa all die Experten und Expertinnen aus „Staat, Privatwirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft“, wie es immer so schön inklusiv heißt, die in globalen Initiativen (laut Duden „die Fähigkeit, aus eigenem Antrieb zu handeln“) zusammensitzen und Konzepte zur Krisenbewältigung, zum Bevölkerungs- und Katastrophenschutz verhandeln: www.gikrm.de/site/assets/files/1132/gikrm_factsheet_de_intern2015.

Ausgangspunkt solcher Initiativen ist das Dach, das rutschig ist, und der Absturz, der unumgänglich ist. Stichwort: Alternativlosigkeit, ein zentraler theologischer Begriff unserer Zeit. Klimakatastrophen sind nun mal der Preis für unsere Wirtschaftsweise, also müssen Wege gefunden werden, „Lösungsansätze zu pilotieren“ (aus der Broschüre des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). Nasruddin soll also zum Piloten ausgebildet werden. Da ist einiges denkbar: Sturzhelm, ­Zerschelltechniken, antiaero­dynamisches Flugverhalten.

Natürlich formulieren es die Experten und Expertinnen ein wenig anders. Sie nennen es „Resilienz“. Das verspricht viel, weswegen ein besorgter Weltbürger sofort ratsuchend die Broschüre aufschlägt. Die Idee ist denkbar einfach. Sie entspricht in etwa der Taktik von Muhammad Ali in seinem Kampf gegen George Fore­man 1974 in Kinshasa: Halte alle Schläge aus! Egal wie sehr George oder das Schicksal oder der Spätkapitalismus auf dich eindreschen. Das lateinische Wort „resilire“ bedeutet „abprallen, zurückfedern“ (also genau so wie Muhammad Ali). Gewiss, wer schon in einem Ring mit dem Schläger Fore­man steht, der ist um jede Resilienz dankbar. Aber man könnte ja auch die Frage stellen, was er überhaupt im Ring zu suchen hat. Wer sich auf Resilienz versteift als Allheilmittel für alle Bedrohungen der Zukunft, der übersieht geflissentlich, das es auch die Option des Ausstiegs gibt. Schlimmer noch: Die Fokussierung auf Resilienz dient zunehmend als Rechtfertigung, nichts gegen die Ursachen der Krisen und Katastrophen zu unternehmen.

Was bedeutet dies konkret? Die Broschüre gibt anschauliche Antwort: Hotel Resilient. Was unter diesem nach einer neuen Filmschnulze anmutenden Namen zu verstehen ist, muss ausführlich zitiert werden, denn es stellt alles in Schatten, was sich Nasruddin Hodscha je ausgedacht hat: Tourismus ist einer der am schnellsten wachsenden, aber auch am stärksten exponierten Wirtschaftszweige im Raum Asien/Pazifik. (Wir kooperieren) zu der Entwicklung von international anerkannten Standards für Hotels und Resorts, welche das Management von Katastrophen- und Klimarisiken und die Resilienz von Tourismusdestinationen stärken sollen.

Ein Hotel der Seligen inmitten von Chaos und Gewalt ist also die Antwort der Experten und Expertinnen auf die Krisen der Zukunft. Resilient gegen ­Tsunami und Terror, mit hohen elektrischen Zäunen, damit jene, die nicht so darüber erfreut sind, dass dieses Hotel ausgebucht ist, nicht eindringen können. Bald werden die Tourismuskataloge Resilienzstandards (nennen wir sie mangels anderer Vorschläge „Hodschas“) enthalten: „Unser luxuriöses Hotel hat zwei Schwimmbecken, drei Restaurants, vier Sterne und fünf Hodschas.“

Brandschutzmelder

Ein Hotel der Seligen inmitten von Chaos ist die Antwort auf die Krisen der Zukunft

Das zweite Beispiel in der Broschüre ist übrigens mitnichten besser: Brandschutz in den Textilfabriken in Bangladesch: Ja, natürlich, wieso sind wir nicht selber darauf gekommen. Anstatt die moderne Lohnsklaverei, die unmenschlichen Arbeitsbedingungen und die perverse Ausbeutung zu beenden, installieren wir Brandschutzmelder, damit die Privatwirtschaft nicht wieder fahrlässig Humankapital verliert. Das bezeichnen die Experten und Expertinnen übrigens als „resilience dividend“.

Wer meint, hier werde eine Ausnahme beschrieben, der wäre von der rasanten Karriere der Konzeption „Resilienz“ überrascht. Der Publizist Matthias Horx hat es auf den Punkt gebracht: „Resilienz wird in den nächsten Jahren den schönen Begriff der Nachhaltigkeit ablösen. Hinter der Nachhaltigkeit steckt eine alte Harmonie-Illusion, doch lebendige, evolutionäre Systeme bewegen sich immer an den Grenzlinien des Chaos.“ (zitiert nach dem Rundschreiben 02/15 von medico international) Das ist an Perfidie nicht zu überbieten. Weil wir als Menschheit in vielen Regionen der Welt fast dauerhaft Krisen und Katastrophen erleiden, die sich eher schlecht als recht „managen“ lassen, sind wir am Leben, folgen wir dem evolutionären Pfad. Im Umkehrschluss wäre weniger Zerstörung, weniger Gewalt, weniger Unfreiheit und weniger Ungleichheit Ausdruck eines sterbenden, evolutionsfernen Systems.

Nasruddin Hodscha hat noch viel zu lernen. Er müsste seinen Nachbarn anbrüllen: Was verrottest du in deinem sicheren Haus. Stürze dich hinaus, folge mir auf dem resilienten Fall in den Untergang. Ich vermute, der Nachbar würde kopfschüttelnd das Fenster schließen. Wir aber sind dem Schwachsinn der herrschenden Diskurse weiterhin ausgesetzt, so lange, bis wir uns wehren.

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