: Frauen sind weiter Opfer sexueller Übergriffe
Sexuelle Gewalt Die Präsenz bewaffneter Gruppen führt zu sexueller Gewalt gegen Frauen. Deshalb muss ein landesweiter Waffenstillstand durchgesetzt werden
Von Myoset Nyeinchan
Birmas Armee führt seit der Unabhängigkeit von den britischen Kolonialherren im Jahr 1948 Krieg gegen bewaffnete Gruppen ethnischer Minderheiten im Land. Von 1962 an, als General Ne Win die Macht im Land ergriff, hat das Militär Birma kontinuierlich regiert. Die Regierungstruppen haben ihre Präsenz in den Regionen der ethnischen Minderheiten ständig ausgeweitet. Beide – Birmas Armee und die bewaffneten Gruppen der ethnischen Minderheiten – haben seitdem Menschenrechtsverletzungen begangen. Aber die meisten Verbrechen werden der Regierungsarmee zur Last gelegt.
Die Situation im östlichen und nördlichen Grenzgebiet, in den Regionen der Shan- und der Kachin ist derzeit besonders schwierig. Erst kürzlich warnte etwa ein Mitarbeiter der Kachin-Baptisten-Kirche, Lashi La, vor den Gefahren, die von der Regierungsarmee durch neue Kämpfe, Landminen und scharfe Munition in der Region ausgehen. Besonders gefährlich sei es für Frauen und Mädchen, die außerhalb ihrer Dörfer oder Lager nach Lebensmitteln suchten und immer wieder von Regierungssoldaten verübter sexueller Gewalt ausgesetzt seien, sagte Lashi La.
Bereits im Jahr 2002 haben zwei Menschenrechtsorganisationen der Minorität der Shan einen gemeinsamen Bericht unter dem Titel „Lizenz zur Vergewaltigung“ veröffentlicht. Darin dokumentierten sie 173 Fälle von sexueller Gewalt der Regierungsarmee.
Mehr als ein Jahrzehnt danach, unter der zivilen Reformregierung, veröffentlichte die Birmesische Frauenliga im Jahr 2014 einen weiteren Bericht mit dem Titel: „Dieselbe Straflosigkeit, dasselbe Muster“.
Die Berichte unterscheiden sich nur darin, was Orte und Zeiten betrifft: Unter der amtierenden Regierung von Staatspräsident Thein Sein (seit 2011 im Amt) sind über 100 Fälle sexueller Misshandlungen verzeichnet.
Aufgrund des Stigmas, das traditionell mit Vergewaltigung verbunden ist, bringen viele Frauen der ethnischen Minderheitsbevölkerung die Verbrechen nicht zur Anzeige. Selbst wenn sie versuchen, Gerechtigkeit zu erhalten, misslingt dies in der Regel, da die Militärbehörden niemals ernsthaft gegen die Täter vorgehen.
Auch nach den demokratischen Reformen von 2011 diskutieren Politiker und Parlament nur selten über die Situation der Frauen in Konfliktgebieten.
Die prodemokratische Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi hat erklärt, Vergewaltigung diene in Birma „den Streitkräften zur Einschüchterung der ethnischen Volksgruppen“.
Die beiden Berichte stellen übereinstimmend fest, dass die Armee Birmas sexuelle Gewalt in großem Ausmaß als „Kriegswaffe“ gegen die ethnischen Minderheiten einsetzt.
Aktivisten des Friedensnetzwerks der Kachin fordern von der Regierung, ihrer Verantwortung nachzukommen und der sexuellen Gewalt gegen Frauen in den Konfliktgebieten Einhalt zu gebieten. Obwohl Birma die Erklärung der UNO gegen sexuelle Gewalt von 2014 unterzeichnete, hat die Regierung noch keinen konkreten Plan zu deren Umsetzung vorgelegt.
Das Kachin-Friedensnetzwerk glaubt, dass ein spezielles Gesetz zum Schutz der Frauen gegen sexuelle Gewalt in Konfliktregionen im Parlament debattiert und verabschiedet werden muss.
Voraussetzung für ein Ende der sexuellen Gewalt in diesen Gebieten ist ein Ende der Präsenz bewaffneter Gruppierungen. Dafür muss die Regierung einen landesweiten Waffenstillstand durchsetzen.
Ein weiterer Grund für die Verbrechen der birmesischen Armee ist, dass ihre Angehörigen keine Angst vor Strafe haben. Soldaten werden nur sehr selten zur Verantwortung gezogen. Zudem werden Frauen – vor allem in den Minderheitengebieten – als Menschen zweiter Klasse angesehen. Und in einigen Vergewaltigungsfällen wird den Opfern selbst die Schuld zugeschoben.
Damit dies nicht so weitergeht, muss die Verfassung von 2008 geändert werden: Diese räumt der Armee fast uneingeschränkte Kontrollrechte ein.
Sollte die oppositionelle Nationale Liga für Demokratie (NLD) die bevorstehenden Wahlen am 8. November gewinnen, wie es viele in Birma hoffen, dann muss sie sich darum bemühen, die Verfassung zu ändern. Der letzte Versuch im Juni dieses Jahres ist gescheitert.
Außerdem muss sie sich für einen landesweiten Waffenstillstand einsetzen und Frauen dazu ermutigen, sich für den Frieden zu engagieren.
Falls die NLD die Mehrheit im Parlament gewinnt, muss sie ernsthaft im Interesse der Menschen arbeiten – und nicht nur für ihre eigene Wiederwahl, wie es die meisten Parteien tun.
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